Buchtipp: "Ein perfektes Leben" von Leonardo Padura

11.11.2003 13:26 (zuletzt bearbeitet: 11.11.2003 13:27)
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#1 Buchtipp: "Ein perfektes Leben" von Leonardo Padura
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1989: Der Sozialismus in der Sowjetunion bricht zusammen. Auch in Kuba hinterlässt der Ruin des riesigen Bruderreiches seine Spuren. Die Wirtschaft des Inselstaates gleicht, aufgrund der weg brechenden Wirtschaftshilfe sowie des Exportgeschäfts mit der UdSSR, einem Trümmerhaufen. Es beginnt die Zeit der „periodo especial", der Sonderperiode, in der das Land einschneidende Veränderungen erfährt. Zwar wird das System des Sozialismus nicht in Frage gestellt, dennoch werden zu Beginn der 1990er-Jahre zögerlich Reformen durchgeführt, das Land öffnet sich dem Tourismus, der heute eine der Haupteinnahmequellen für die so dringend benötigten Devisen ist. Gleichzeitig mit dem Wandel treten aber auch die sozialen Unterschiede und Ungerechtigkeiten sowie die Unterdrückungsmaßnahmen des Castro-Regimes stärker hervor.

In diese Umbruchszeit, dem Jahr 1989, hat der kubanische Autor Leonardo Padura sein Tetralogie "Das Havanna-Quartett" angesiedelt. Auftakt der vier Romane, die sowohl das Leben der einfachen, oftmals verarmten Bevölkerung, als auch das der Nomenklatura des Castro-Regimes schildern, bildet der Kriminalroman "Ein perfektes Leben". Hauptfigur ist Teniente Mario Condo, ein melancholischer Polizist und verhinderter Schriftsteller, der gleich zu Beginn des neuen Jahres das Verschwinden von Rafael Morín aufklären soll. Morín, hochrangiger Mitarbeiter im Industrieministerium vom Range eines Vizeministers, ist seit der Silvesternacht unauffindbar. Erinnerungen werden in Condo wach, denn Morín ist ein ehemaliger Schulkollege und hat ihm damals seine hübsche Freundin Tamara ausgespannt.

Mittlerweile ist Tamara mit Morín verheiratet und führt ein wohlhabendes Leben. Davon kann sich Teniente Condo bei seinem ersten Besuch bei ihr überzeugen: Die Familie Morin lebt in einem großzügige Haus und hat es, dank der Auslandsaufenthalte von Rafael Morin, zu Luxus gebracht. Davon kann der Polizist, der das Leben in den ärmlichen Hinterhöfen Havannas durch seinen Beruf kennt, nur träumen. So viel Reichtum, dass kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein und so begibt sich Teniente Condo auf die Suche nach dem verschwundenen Morin und wird schon bald mit einem Sumpf aus Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert.

Leonardo Paduras stärkste Waffe ist sein glasklarer Realismus. Nicht so sehr die Aufklärung des Kriminalfalls ist das spannende an diesem Roman, es sind die lebendig beschriebenen Figuren und ihr Alltag im sozialistischen Kuba, die dieses Buch so aufregend machen. Vor allem ihre Sehnsucht und ihre enttäuschten Illusionen, ihr täglicher Kampf ums Überleben und ihre Suche nach Gerechtigkeit geben diesem Roman einen unvergleichlichen Ton, der zwischen leiser Wut und Melancholie aber auch Lebensfreude - etwa bei den köstlichen Mahlzeiten, auf die sich der Teniente Condo immer wieder freut - schwankt.

Besonders im Hauptcharakter Condo kristallisiert sich die Ambivalenz der kubanischen Gesellschaft: Schwankend zwischen der Liebe zur Literatur und zu schönen Frauen, begeisterter Baseball-Anhänger (wie sein Autor übrigens auch) und verzweifelt und unglücklich über seinen Job als Polizist, weiß Condo eigentlich nicht, worauf er sein Leben ausrichten soll. Seine Träume vom Leben als Schriftsteller sind an den Lebensnotwendigkeiten gescheitert - dennoch gibt er nicht auf und hofft, wie vermutlich viele Kubaner, auf Besserung.

Dies alles fängt Padura mit einer wunderbaren Prosa ein. Sätze wie "Er stand auf und ging wieder zum Fenster seiner Melancholie und Nachdenklichkeit" prägen den Roman und passen zu der Lebenswirklichkeit seiner Figuren. Durch sie gelingen ihm Innenansichten eines Gesellschaftsystems, dass ruiniert und an seinen eigenen Idealen zerbrochen ist. Mit seinen raffiniert eingearbeiteten Gegensätzen - hier das Leben der einfachen Leute, die sich oftmals mit Kleinkriminalität über Wasser halten müssen, dort das luxuriöse Leben der korrupten Führungselite - gibt er Einblicke in ein Land, die in keinem Geschichtsbuch zu finden sind. Dabei wertet Padura nicht - er erzählt einfach, die Beurteilung überlässt er dem Leser und bringt ihn so geschickt ins Spiel. Man darf also auf die weiteren Bände des "Havanna-Quartetts" sehr gespannt sein.

Hab ich bei Amazon entdeckt, werde ich jetzt mal bestellen. Mehr dazu später.
Madita


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