»Die Zeit für diesen Film wird noch kommen ...«

13.12.2004 21:20
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#1 »Die Zeit für diesen Film wird noch kommen ...«
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Rey/Reina del Foro

»Die Zeit für diesen Film wird noch kommen ...«

Am Mittwoch zeigt der MDR ein bewegendes Porträt von Nadja Bunke. Warum auf einem Nischenplatz? Ein Gespräch mit Heidi Specogna

* Heidi Specogna, geboren 1959 im Schweizer Biel/Bienne, ist Dokumentarfilmerin. Arbeiten unter anderem: »Tania la Guerrillera« (1991), »Tupamaros (1996), »Eine Familienangelegenheit« (2004). Am Mittwoch, 23.35 Uhr, zeigt der MDR ihren neuen Film »Zeit der roten Nelken« über Nadja Bunke.

F: Ihr Dokumentarfilm »Zeit der roten Nelken« porträtiert Nadja Bunke, eine Person der Zeitgeschichte nicht nur als Mutter von Che Guevaras Kampfgefährtin »Tania la Guerrillera«. Wie entstand diese Langzeitarbeit – ursprünglich Projekt einer Schweizerin über eine DDR-Bürgerin?

Zunächst lernte ich Anfang der siebziger Jahre als ganz junges Mädchen über einen Film, der im ZDF gezeigt wurde, die Geschichte von Tamara Bunke kennen. Als ich dann 1982 nach Westberlin kam und an der dffb (Deutsche Film-und Fernsehakademie) studierte, hatte ich eben diese Geschichte im Kopf. Nach dem Studium begann ich mit Recherchen zu Tamara und wollte ihre Eltern kennenlernen. Da stand aber nicht nur die Mauer, sondern Nadja Bunke hatte zudem üble Erfahrungen mit der Westpresse gemacht. Verleumdungen über Tamara waren alltäglich. Und also schlugen meine ersten Versuche, mit Nadja Kontakt aufzunehmen, allesamt fehl.

F: Aber Sie blieben dran?

Irgendwann sagte sie am Telefon, ich solle Kontakt zu Wolfgang Kohlhase aufnehmen, dem bekannten DDR-Drehbuchautor. Der kam zur Berlinale, ich sprach ihn an, erzählte von meinem Problem. Er riet Nadja daraufhin, sich anzuhören, was ich will. So kam ich zu Nadja und Erich Bunke nach Hause. Und am Schluß des langen Gesprächs hatte sie mir nicht nur die Tür, sondern auch ihr Herz geöffnet. Das war 1988...

F: ... und geschah in Vorbereitung Ihrer Arbeit über Tamara Bunke. Haben Sie damals bereits an einen Film über Tamaras Mutter nachgedacht?

Nein, diese Idee entstand eigentlich erst in der Wendezeit, die ich gemeinsam mit dem Ehepaar Bunke sehr intensiv erlebte – in erster Linie natürlich die ganzen Probleme. Daß die Bunkes ein Grundstück besaßen, das nun von einem Westbürger beansprucht wurde. Aber auch Alltägliches wie Auto ummelden und Rentensachen regeln bis zur Sondierung von Angeboten im Supermarkt. Im Laufe dieser Zeit wuchs dann Stück für Stück die Idee, die Ereignisse dokumentarisch zu begleiten. Den Ausschlag allerdings dafür, den Film zu machen, gab Nadja selbst. Sie erzählte, daß sie immer noch eine Biographie habe schreiben wollen und das nicht mehr schaffe. Da meinte sie: Wollen wir nicht versuchen, durch mein Leben zu gehen? Da fangen wir bei meinen ersten Erinnerungen an und gehen durch die Zeit bis ins Heute. So ist der Film entstanden.

F: Nadja Bunkes Biographie als deutsch-russische Jüdin und Kommunistin widerspiegelt verschiedene historische Großereignisse des vergangenen Jahrhunderts: die Oktoberrevolution, der Kampf gegen den drohenden Faschismus in Deutschland, die Emigration nach Übersee und die Rückkehr aus Argentinien in die DDR. Schließlich das DDR-Ende und mit ihm das Ende von Nadja Bunkes Träumen. Wie ist sie damit umgegangen?

All das, woran sie geglaubt hat, ihr ganzes Leben, nicht nur in der DDR, ging verloren. Um sie herum, so mag sie es empfunden haben, fand eine Verabschiedung von der sozialistischen Idee statt. Das hat sie schwer getroffen. Im Film kommt das dadurch zum Ausdruck, daß sie es nicht zugibt. Der Schmerz ist so ungeheuer groß, daß sie darüber auch nicht reden mag. Sie gibt vor, daß das DDR-Ende einer von vielen Brüchen war, die sie in ihrem Leben erlebte. Und sie gibt vor, daß sie es überwunden hat. Das habe ich ihr nie glauben können. Dafür hat sie zuviel vermißt und war letztendlich einsam. Gut aufgehoben fühlte sie sich dann bei Cuba Sí, einer PDS-Arbeitsgruppe. In ihrer angestammten Parteigruppe in Berlin-Friedrichshain fühlte sie sich nicht gut aufgehoben. Da hat sie auch gelitten.

F: Stichwort Kuba. Dorthin begleiteten Sie Nadja Bunke. Würden Sie sagen. daß die Insel nach 1990 zu einer neuen Heimat für Frau Bunke wurde – als ein Ort, wo der sozialistische Gedanke im Alltag und in der Gesellschaft präsent ist?

Der Kontakt zu Kuba war für sie unheimlich wichtig in den letzten Jahren. Dort sah sie eine gelebte Fortsetzung ihrer Ideale. Vor allem wurde dort das Andenken Tamaras in einer Art und Weise gelebt, die ihren Vorstellungen entsprach. Tamara war in Ostdeutschland irgendwann vergessen, die Kollektive, die den Namen »Tamara Bunke« trugen, zugemacht, die Jugendklubs geschlossen. Das alles hat auf Kuba weiterhin Bestand.

F: Dort traf sie Ulisses Estrada Lescaille, den Verlobten ihrer Tochter – Tanias Ausbilder vor dem Bolivien-Einsatz mit Che Guevara.

Ulisses Estrada hatte Nadja schon kurz nach Tamaras Tod kennengelernt. Über die ganzen Jahre hatten die beiden Kontakt zueinander. Es war ein richtig enges familiäres Verhältnis. Die Kinder von Ulisses waren ihre Enkel. So empfand sie das.

F: Welche Rolle spielt Tanias Verlobter in dem Film?

Ulisses ist zentral bei Nadjas Besuchen in Kuba. Er begleitet sie und übernimmt im Film die Funktion des Sohnes, des kubanischen. Er war auch in Berlin nach ihrem Tod am 7. Februar 2003. Er ging zum Begräbnis und verabschiedete sich von ihr.

F: Es gab Probleme, Ihren Film öffentlich zu machen. Jetzt läuft er auf einem Nischenplatz. Sicherlich ist es gut, daß er überhaupt gezeigt wird, aber trotzdem die Frage: Ist der überkommene Antikommunismus Schuld an der stiefmütterlichen Behandlung?

Es gibt verschiedene Gründe. Zum einen ist der Film mit 98 Minuten sehr lang und sperrig. Bei 60 Minuten Länge hätte er auf eine andere Schiene gepaßt. Aber der lange Dokumentarfilm hat im öffentlich-rechtlichen Sender einfach diese angestammten späten Plätze. Das ist bestimmt ein Grund. Und der zweite ist die Zeit. Es wird oft gesagt: 15 Jahre sind seit der DDR vorbei, jetzt laß uns mal nachgucken, wie es wirklich war. Der Film ist nicht an ein Ereignis gebunden. Er muß nicht unbedingt zu einem gewissen Zeitpunkt gesendet werden. Ich habe das Gefühl, er hat eine gewisse Nachwirkung. Die Zeit dieses Filmes wird noch kommen.

Quelle:http://www.jungewelt.de/2004/12-14/022.php


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14.12.2004 10:03
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#2 RE:»Die Zeit für diesen Film wird noch kommen ...«
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jan
Rey/Reina del Foro

In Antwort auf:
Da stand aber nicht nur die Mauer, sondern Nadja Bunke hatte zudem üble Erfahrungen mit der Westpresse gemacht. Verleumdungen über Tamara waren alltäglich.

Gegen alle Verleumdungen der "Westpresse" Tania wäre mehr gewesen als die Kampfgefährtin des Che ging sie gerichtlich mit Hilfe eines West-Berliner Anwaltes mit Erfolg vor.


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