Die Irak-Falle

01.09.2004 09:44
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Die Irak-Falle

Nach dem Einmarsch in Bagdad hat die US-Regierung Freudenfeiern der dortigen Bevölkerung erwartet – und einen Guerillakrieg provoziert. Ähnliches würde USA in Kuba drohen

Die Kuba-Politik der amtierenden US-Regierung unter dem Republikaner George W. Bush weist bedenkliche Parallelen zu der Haltung auf, die sie im März 2003 zum Angriff auf Irak verleitet hat. Im Vordergrund dabei stand der unbedingte Kriegswille von George W. Bush. Inzwischen existieren zahlreiche Indizien und Beweise, daß im Weißen Haus die Angriffspläne gegen Irak nicht nur vor den Terrorattacken des 11. September 2001 geschmiedet wurden. Sie entstanden offenbar schon kurz nach dem Amtsantritt von Bush.

Zugegeben: Es hat geheimdienstliche Berichte gegeben, die – fälschlicherweise, wie wir heute wissen – auf die Existenz von Massenvernichtungswaffen in Irak hingewiesen hatten. Eben diese Berichte wurden vom Geheimdienstkomitee des US-Senates unlängst aber als »inhaltlich äußerst unbefriedigend« bezeichnet. Solche geheimdienstlichen Spekulationen begannen bereits 2002 zu kursieren, und sie schienen genau dem zu entsprechen, was die Bush-Administration hören wollte. Der Leitartikel der renommierten Tageszeitung The New York Times beschrieb die Situation bis zum März 2003 unlängst treffend: »Man hätte gerade einen Mars-Urlaub hinter sich haben müssen, um nicht zu wissen, welche Berichte Herr Bush hören wollte. Die Kriegsvorbereitungen hatten längst begonnen.«

Auch wenn es vage Anzeichen für die Existenz von einsatzfähigen Massenvernichtungswaffen gab, so befanden sich bis kurz vor Kriegsbeginn noch UN-Waffeninspekteure in dem Zweistromland. Trotz aller Anschuldigungen aus dem Weißen Haus haben diese unabhängigen Experten nie die kleinste Bestätigung für die Vorwürfe gegen das Saddam-Regime gefunden. Aber Bush wollte nicht warten. Er und seine wenigen Verbündeten wollten Bagdad angreifen. So erfanden sie kurzerhand die These, daß Saddam Hussein über verheerende Waffen verfüge, die er zudem binnen 45 Minuten einsetzen könnte. Es war keine rationale Begründung für eine Kriegserklärung, es war ein geschaffener Vorwand. Dem Krieg gegen Irak liegt nicht zuletzt eine politische Zwangsneurose Bushs zugrunde.

Die Parallele zur Kuba-Politik des republikanischen Präsidenten ist offensichtlich. Seit dem ersten Tag seiner Amtszeit hat Bush alles darangesetzt, die Castro-Regierung in Havanna zu stürzen. So bemerkte sein Unterstaatssekretär im Außenministerium, Roger Noriega, auf einem Politik-Kongreß in den USA Anfang Oktober letzten Jahres treffend: »Der Präsident ist fest entschlossen, dem Castro-Regime ein Ende zu bereiten und den Machtapparat, der ihn so lange an der Regierung gehalten hat, zu zerschlagen«. Verhandlungen oder andere Bemühungen, die zur Etablierung eines Status quo zwischen beiden Regierungen hätten führen können, wurden in Washington unter George W. Bush nie in Erwägung gezogen. Bush sah (und sieht) den Sturz von Fidel Castro vielmehr als moralischen Imperativ an. Kurz nach den terroristischen Anschlägen am 11. September 2001 in Washington und New York verurteilte die kubanische Regierung jede Art des Terrorismus und bot Washington ihre uneingeschränkte Kooperation im Kampf gegen den Terror an, entsprechende Abkommen eingeschlossen. Das Weiße Haus zeigte nicht das geringste Interesse. Das Angebot aus Havanna wurde ignoriert, statt dessen bekräftigten mehrere Regierungsvertreter noch ihren Willen, die Regierung Castros zu stürzen.

Weshalb diese unflexible Haltung, wenn es doch für jeden politischen Laien offensichtlich ist, daß aller Druck und alle Bedrohung in den vergangenen 45 Jahren keine Ergebnisse im Sinne der USA gebracht haben? Wie im Fall Irak kommt die Kuba-Politik einer Obsession des Präsidenten gleich. George W. Bush kam mit dem Versprechen in das Weiße Haus, gegen Fidel Castro vorzugehen. Er behielt diese Linie selbst dann bei, als das Pentagon erklärte, daß aus Kuba keine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA ausgehe. Glücklicherweise hat die Verschärfung der Kuba-Politik noch nicht das Niveau der US-amerikanischen Irak-Politik erreicht, vor allem nicht im militärischen Bereich. Das könnte sich aber rasch ändern, wenn Bush Anfang November wiedergewählt würde.

Die US-Regierung ist schon einmal auf die Versicherungen kleiner Exilgruppen hereingefallen. Irakische Oppositionelle hatten behauptet, daß US-Soldaten beim Einmarsch in Bagdad mit Jubel und Blumen begrüßt würden. Ähnliches ist von den Hardlinern des kubanischen Exils immer wieder zu hören. Diese Gruppen stehen auch hinter den neuen US-Blockademaßnahmen gegen Kuba, die am 6. Mai bekanntgegeben wurden und vor wenigen Wochen in Kraft traten. Nach der Lektüre des 500seitigen Berichtes der »Kommission für ein Freies Kuba« kann man den Eindruck gewinnen, daß in den Köpfen der Autoren die militärische Besetzung Kubas durch die USA kurz bevorsteht. In dem Bericht wird sogar die Ernennung eines »Koordinators für die Transition« empfohlen – ganz so wie Paul Bremer in Irak. Ein solcher Koordinator würde in Kuba die zeitlichen Zielsetzungen überwachen, das Sozialsystem neu strukturieren und die Wirtschaft auf Basis kapitalistischer Mechanismen ausrichten.

So wie die Menschen in Irak die US-amerikanische Besatzung zurückweisen, so wenden sich auch die Kubanerinnen und Kubaner entschieden gegen die Transitionspläne aus den USA. Als ich Anfang Juni zuletzt in Havanna war, haben sich alle meine Gesprächspartner ausnahmslos gegen die neuen Blockademaßnahmen beklagt. Selbst der Oppositionspolitiker Oswaldo Paya bestätigte mir in einem Gespräch, daß »die Transition Kubas nicht der US-Regierung obliegt«. Diese Aufgabe könne nur von den Menschen in Kuba übernommen und getragen werden, so Paya. Diese Meinung ist in Anbetracht der jüngsten Maßnahmen kaum erstaunlich. So dürfen Exilkubaner aus den USA ihre Familienangehörigen in Kuba künftig nur noch einmal alle drei Jahre besuchen. Auch der wissenschaftliche Austausch wurde massiv beschränkt. Wirtschaftsexperten erwarten einen Rückgang der Einnahmen durch Geldüberweisungen in Kuba um zwei bis drei Prozent. Die politische Stabilität der Regierung in Havanna wird dadurch kaum beeinträchtigt werden. Ganz im Gegenteil wird die Verbitterung in der einfachen Bevölkerung weiter zunehmen. Schon jetzt richtet sich die Stimmung im kubanischen US-Exil zunehmend gegen die Regierung Bush. Die verrät zudem ihre eigenen vorgeblichen Ideale von Freiheit und Demokratie, wenn sie Studenten und Wissenschaftlern einen freien Austausch mit der kubanischen Seite gesetzlich verbietet.

Die Bush-Regierung hat auf irakische Exilgruppen gehört – und ist mit der auf diesen Informationen basierenden Politik gescheitert. Im Fall von Kuba hat sie in den vergangenen Wochen nicht nur die Kubaner auf der Insel gegen sich aufgebracht, sondern auch große Teile der Exilgemeinde und der US-Amerikaner. Und das könnte Präsident Bush den Wahlsieg im November kosten.

Wayne S. Smith ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Internationale Politik (CIP) in Washington D. C. und Honorarprofessor an der John Hopkins University in Baltimore. Smith war der erste Leiter der unter Präsident James Carter (1977–1981) gegründeten Interessenvertretung der USA in Havanna. Bis er 1982 aus Protest gegen die verschärfte Kuba-Politik von Ronald Reagan den diplomatischen Dienst quittierte, galt er als leitender Kuba-Experte im US-Außenministerium.


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