Reisebericht - Cuba im April 2004

Umfrage: Und sie kommen doch aus dem Weltall...
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19.05.2004 23:39 (zuletzt bearbeitet: 28.05.2004 18:31)
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#1 Reisebericht - Cuba im April 2004
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( Gast )

Kubareise im März / April 2003

Die achte oder neunte Reise nach Cuba, das letzte Mal im Jahr 2001. Diesmal ist vieles anders: Keine Hotels, viel Authentizität. Mit von der Partie: Fernando (Anfang 40, Musiker, Cubaner aus Santiago, der seit drei Jahren in Deutschland wohnt und den wir vor 8 Jahren in Baconao kennengerlent haben) und Martina (seine deutsche Frau, Sozialpädagogin aus Süddeutschland). Dann noch meine liebe Frau Rebekka (Becky), Journalistin aus Norddeutschland und meine Wenigkeit (Mitte 30, Manager in einer Werbeagentur). Wenig Planung, einzig der Flug und das Casa in Havanna für die ersten Tage sowie der Mietwagen sind vorgebucht. Wir wollen Havanna und das Land mal von einer anderen Seite sehen, Rafael will jede Menge Verwandte besuchen.

27.03. Flug nach Havanna
Superfrühes Aufstehen um 05.00 Uhr, nachdem Becky erst um 03.30 Uhr ziemlich angeheitert nach Hause gekommen ist. Hatte mir schon Sorgen gemacht. Naja.

Air France ist sogar pünktlich, am Flughafen durchwachsene Schlangen bei Air France, Massenschlachten bei Lufthansa. In Paris kommen wir am Terminal A an – eine totale Katastrophe. Alles ist versifft und überfüllt, wir sind ziemlich müde und leicht genervt.

Knallen uns eine Menge Rotwein rein, was bei der Müdigkeit gut wirkt. Dann Boarding. Die Schlange sieht erst klein aus, wächst dann aber immer mehr an. Die Bodencrew wird der Sache kaum Herr. Nach einer Stunde können wir endlich an Bord gehen. Wir hatten Alizée gebucht, der Flieger ist eine B747-400 und da ist Alizée fast wie Business. Es kommt noch besser: Alizée ist voll, also werden wir in Business upgegradet. Prima. Ein Franzose muß auf den Notsitzen der Stewardessen sitzten: überbucht. Flieger ist voll, das Personal entsprechend mies gelaunt, das Essen erstaunlich schlecht. Aber man hat sehr viel Platz und das zählt.

Landung in Havanna trotz verspätetem Abflug „before schedule“ und als Business-Passagier steigt man als erster aus. Somit stehen wir auch als erster bei der Immigracion, die keinerlei Ärger macht. Eh wir uns versehen stehen wir am Gepäckband und das Gepäck ist nicht nur heil, es kommt auch schnell. 30 Minuten nach der Landung sitzen wir im Taxi nach Vedado. Was ist los hier? Sind die Amerikaner schon gelandet?

Kommen im Casa Antigua an, das liegt 23 y 28, also ziemlich genau dort, wo Vedada in Miramar übergeht, am Ende der Rampa. Erweist sich als nahezu ideale Lage. Casa ist wie ein Museum – viele Antiquitäten, großzügige Salons, alles in einem 1A Zustand und das für überschaubare 25 USD pro Zimmer zzgl. Frühstück. Von den im Internet zugesagten Errungenschaften dann allerdings doch keine Spur: Internetzugang gibt es aber nicht umsonst, Wäsche wäscht die Putzfrau auch nicht umsonst. Naja, egal. Nicht wichtig. Das Casa ist eine positive Überraschung. Gehen abends mit Alex, der auch am gleichen Tag angekommen ist, die Rampa hoch. Circa dreieinhalb Kilometer. Es ist erstaunlich kühl. Treffen Luis Felipe („Whisky“) Aventoura-Reiseführer, den wir vor zwei Jahren kennengelernt haben. Luis hat am nächsten Tag eine Tour, deswegen nur wenig Zeit. Bin hundemüde, schlafe am Tisch ein. Es ist ziemlich windig. Mir fällt auf, daß weniger Parolen hängen. Falle ins Bett.


28.03. (Sonntag) Havanna
Morgens gleich Fußmarsch zum Hotel Nacional. Becky will Fritz Meyer treffen. Fritz ist Ausländer und produziert “Eine Tanzshow”, eine Tanzshow, die in Europa und Asien auf Tournee geht (ab Mitte Juni wieder in Europa). Becky macht für das Hamburger St.Pauli Theater eine Story über die Show und über Fritz . Wir kommen standesgemäß eine Stunde zu spät. Fritz ist hundemüde, sagt aber die Teilnahme an Rehearsals für Dienstag und Mittwoch zu. Wir trinken ein paar Bier und laufen Richtung Carro. Dort cubanisches Bier vom Faß für 6 Pesos. Absolut trinkbar, allerdings muß man 15 Minuten auf das Bier warten, weil die Bedienung nicht gerade engagiert ist. Ich gewöhne mir erstaunlich schnell cubanische Gelassenheit an, schalte ab. Wir kaufen schwarz gebrannte CDs, die neuesten CDs für nur 2-2,50 USD. Aufwendig gemachte Cover und der Verkäufer hat sogar einen Discman, auf dem man zur Probe hören kann. Wow. Stellen später fest, daß das ein Schnäppchen war, die meisten anderen Verkäufer wollten mehr haben. Ich checke die offiziellen Zigarrenpreise – liegen bei etwa 70% des europäischen Internetpreises wenn man die aus Madrid bestellt.

Fußweg zurück ins Casa. Wir trinken Rum auf dem Balkon, relaxen. Becky ruft mit meinem Handy Fred Mustermann an, ein Journalist, für den wir einige Sachen dabei haben. Bin baff – Roaming funktioniert. Man braucht etwas Geduld, aber es geht. Abends 1A Abendessen für 7 USD, die Tochter hat gekocht. Danach fahren wir zum Beisbol. Die Saison geht zu Ende, Industriales ist in den Play-Offs gegen Villa Clara und verliert auch noch 0:5. Später werden die Flaschen noch Meister und alle Cubaner außer den Industriales Fans wittern Schiebung. Was hier die Bayern sind ist in Cuba Industriales. Fanartikel gibt es auch schon, Baseballcaps und Trikots allerdings zu horrenden Preise, die nur Touris bezahlen. Beisbol in Havanna ist mein Lieblingstip. Ist wirklich prima so lange bis man aufs Klo muß. Da muß man dann halt durch, im wahrsten Sinne des Wortes.

Am Stadion der erste „Hellomyfrenggg“ – das muß man sich mal reinziehen: Wir sind schon 24 Stunden in Havanna und erst jetzt spricht uns ein Frenggg an. Er will 8 Dollar haben für die Fahrt, wir einigen uns auf 2. Habe mir bei eBay ein GPS gekauft, welches sich als überaus nützlich erweist. Zumindest konnte ich ihm damit beweisen, daß es nur 6 KM sind. Glücklicherweise hat er nicht gepeilt, daß es Luftlinie war. J Egal.


29.03. Montag, Havanna


Wir entwickeln die Raumschiff-Theorie:
Beim Cubaner gibt es ja bekanntermaßen zwischen Gehirn und Ohren keine Verbindung. Indiz Nummer eins.
Dann ernähren sich Cubaner ja anders: Von Rum. Indiz Nummer zwei.
Dann können Cubaner sich so bewegen wie kaum ein anderer Mensch und absolut jeder Cubaner ist musikalisch. Indiz drei und vier.
Cubaner haben auch ein vollkommen anderes Zahlensystem. 1+1 ist niemals 2. Meistens irgendwas anderes. Indiz fünf.
Und der Chef müßte auch schon lange tot sein. Indiz 6.
Das Denkmal auf dem Platz der Revolution ist die Startrakete. Indiz 7.
Cubaner müssen nicht kacken, die brauchen also auch kein Wasser oder Klopapier. Indiz 8.

Damit ist klar: Cubaner sind Außerirdische!!!
Denen ist vor 500 Jahren das Raumschiff kaputt gegangen und dann sind sie auf Cuba notgelandet. Konnte ja keiner ahnen, daß so ein blöder Portugiese auf einer alten Holzschaluppe aus Versehen vorbei kommt und das dazu führt, daß man nie nächsten 500 Jahre kaum noch Zeit und Muße hat, das verdammte Raumschiff endlich zu reparieren.
[...] gehen wir zum Hotel Neptuno. Dort ist das Büro von Vacacionar Travel, bei denen ich über das Internet den Mietwagen reserviert hatte. Vacacionar wollte, daß ich denen eine Kopie meiner Kreditkarte faxe – man kann’s ja mal versuchen. Hab ich nicht, also vorbeikommen und die Kreditkarte selber autorisieren. Hotel Neptuno / Triton ist ein furchtbarer Kasten. Cubanische Kategorie 5 Sterne, für Touristen unzumutbar. Fußweg durch Miramar zum Casa de la Musica. Miramar hat sich wirklich gemacht. Sehr schicke Villen an jeder Ecke. Das Casa de la Musica ist, GPS sei Dank, nur 900 m von unserem Casa entfernt. Checke die Bands – kein Knaller dabei, erstaunlich oft NG La Banda. Erfahre später, daß die wohl auf dem absteigenden Ast sind, dürfen viele eigene Song wegen Ärger über Rechte nicht mehr spielen und nehmen daher die der anderen Bands. Im Casa de la M trinken wir ein paar Bier. Bucanero hat ein neues Logo, schmeckt auch gleich besser. Alle trinken nur noch Bucanero, davon wird man wenigstens einigermaßen betrunken, während das bei Cristal echt schwer ist.

Um 1730 sind wir wieder im Casa. Ferandno und Sabine sind angekommen. Fernando , eigentlich schwarz, ist erstaunlich blaß, sofern schwarze Haut überhaupt blaß sein kann. Kaum 200 m auf der Rampa gegangen treffen wir gleich Rafaels Cousin Daniel, der aussieht wie Bob Marley und fortan von uns auch nur noch so genannt wird: Cousin Bob. Wir gehen wieder ins Casa, dort 1A Abendessen. Für Fernando eine Qual, weil viel zu teuer (7 USD), für uns ein Schnäppchen. Fernando versteht nicht, wie man nur so viel Geld für ein Essen ausgeben kann. Wir bezahlen das Casa eh, er ist also eingeladen.

Danach setzt sich Horacio, der „Wirt“ des Casa ans Klavier. Horacio rennt den ganzen Tag mit nacktem Oberkörper durch die Gegend und fummelt an seinem Haus rum. Er hat schulterlange graue Haare, ist vielleicht so Anfang 60 und macht alles in allem eine Figur wie ein zerzauster aber genialer Professor. Spricht ziemlich gut englisch, was die Sache für Becky und mich einfach macht, denn unser Spanisch ist recht durchwachsen. Horacio war mal Musikprofessor oder so – er spielt göttlich. Rafael intoniert dazu Lieder aus den 30ern und die ganze Atmosphäre ist mal wieder einmalig. Laues Lüftchen, tolle Terrasse, schöne Musik dazu eine Flasche Rum. Ich bin vollkommen angekommen, Deutschland und der ganze Streß der Arbeit ist weit weg, obgleich meine lieben Mitarbeiter der Versuchung, dann doch irgendwelche Trivialitäten per SMS zu schicken nicht wiederstehen können. Sie kommen mir vor wie Nachrichten aus einer fernen Welt. SMS dauern manchmal Stunden, manchmal nur Sekunden. Je nachdem wie flink die Übersetzter vom MinInt eben sind. J


30.03. (Dienstag) Havanna

Nach dem Frühstück schaut Fernandos Tante Ana vorbei. Wetter sieht kühl aus, vielleicht gerade mal 25 Grad. Wir laufen und laufen und laufen. Centro, Parque Central, Habana Vieja, Hafen – insgesamt fast 15 Kilometer. Obwohl ich sonst lauffaul bin, macht mir das nichts aus. In Habana Vieja hat sich viel getan, mittlerweile gehört alles Eusebio Leal, dem „Restaurador“ und mit einem geschätzten Privatvermögen von 50 Mio. USD wahrscheinlich nach den Hermanos Castro einer der wohlhabensten Cubaner. Ich filme viel, Rafael führt uns durch die Feinheiten cubanischen Fastfoods und ist im Himmel, als er den ersten Pollo-Stand findet. Dort kauft er Pollo-Nuggets, die zwar ganz gut schmecken, aber Fragen nach ihrem Inhalt durchaus aufwerfen. Die Pollo-Läden gibt es wirklich an jeder Ecke. Alle mittlerweile mit Kameras, damit die Angestellten beim Abwiegen – es wird nach Gewicht bezahlt – nicht bescheißen. Jeder Cubaner bescheißt und zwar eigentlich permanent, wobei man im guten sozialistischen Sinne zwischen Extranjero und Cubaner keinen Unterschied macht. Wer dumm genug ist, beschissen zu werden, hat es nicht anders verdient. Kann mich nicht entsinnen, während des gesamten Urlaubs auch nur eine einzige richtige Rechnung bekommen zu haben. Aber man gewöhnt sich daran relativ schnell. Habe das cubanische Zahlensystem auch noch nicht verstanden und bestehe darauf, daß nach dem europäischen abgerechnet wird. Das nervt die Leute ziemlich. Haben sich übrigens auch ein paar Mal zu ihren Ungunsten verrechnet. Ich habe die dann darauf aufmerksam gemacht, einmal waren es immerhin 20 Dollar. Natürlich hat sich die Tante nicht bedankt, besser noch: Sie meinte, ich würde totalen Quatsch erzählen. Erst ihr Chef hat gemerkt, daß ich Recht hatte und sich im Hintergrund feixend halbtot gelacht.
Zurück zum Fastfood: Bocaditos mit allerlei bakteriell verseuchtem Fleisch gehen noch, die Krönung cubanischen Fastfoods ist allerdings fritiertes Fett. Böah... In jedem Falle werden die Cubaner jeder neuen Fastfood-Kette die Bude einrennen. Ich fühle mich darin bestärkt meinem lieben Unternehmen einzureden, doch endlich mal verdammich nochmal ein Büro in Havanna zu eröffnen und einfach nur Kohle für Lobbying hinein zu stecken um es dann wieder zu verdienen, wenn das Raumschiff gestartet ist.
Ich stelle fest, daß der Staat auch an die Umwelt denkt und dazu übergegangen ist, den Rum nicht mehr in teure und nervige Glasflaschen sondern gleich in praktische Pet-Flaschen (1,5 l für 80 Pesos) abzufüllen. Müssen die Kids nur aufpassen, daß sie das nicht mit Naranjita verwechseln. Stelle später fest, daß es Rum nun auch im Tetra Pak gibt und faszinierenderweise sogar im 250ml Tetra Pak Trinkpäckchen, praktischerweise gleich mit Strohhalm. „Jose-ito, oije, Du hast Dein Rum-Trinkpäckchen vergessen.“ „Ja, Mama. Hicks.“ Crazy. Überhaupt sind die lieben Außerirdischen permanent dabei, sich auf die eine oder andere Art zu betrinken. Egal an welchem Tag, zu welcher Zeit und an welchem Ort. Der Staat hat Arbeitsstätten nur deswegen gebaut, weil man da manchmal weniger Rum trinkt, gearbeitet wird ja eh nicht und wenn, dann kommt dabei zumeist auch nur wenig raus.

Das Wetter hat sich übrigens gebessert. Es sind wenig Touris unterwegs, wenn mal von Vieja absieht, wo ja auch immer am Nachmittag in alter kapitalistischer Tradition eine waschechte Disney-Parade durch die Straßen turnt. Sicher eine Idee von Herrn Leal. Es gibt auch wenige „Hellomyfrenggg“, wirklich sehr sehr wenig und wenig sichtbare Polizei. Dafür mittlerweile viel Verkehr, eine Rush – Hour und manchmal ziemliche Staus. Zur Hauptverkehrszeit über den Malecon zu kommen, kann schonmal ein paar Minuten dauern. Es geht also bergauf mit dem Land.

Becky und ich müssen noch Handtücher kaufen, weil wir sowas immer vergessen. Für 6 USD erstehen wir zwei wunderbare Machwerke von einer in ihrem Engagement kaum zu unterbietenden Mitarbeiterin. Wenn diese ganzen McDonald’s-Verkäuferinnen von dem ewigen bekloppten freundlichen Lächeln die Nase mal so richtig plemm haben, sollte man die zur Erholung nach Cuba in einen Laden schicken. Da können sie die blöde Kundschaft endlich mal so richtig schlecht behandeln und auch noch permanent mit ihrer Mama oder Freundin telefonieren. Muß zum Ehrenkodex cubanischer Verkäuferinnen gehören: Wer nicht permanent telefoniert ist vom Geheimdienst oder schwul oder beides.

Wir besuchen die Mama von Fidelito und liefern da seinen heiß ersehnten Rasierschaum aus Deutschland ab. Sitzen abends am Malecon und knallen uns neben ein paar Dosen Bier das neue Havana Club Anejo Oro rein. So eine Mischung zwischen dem braunen Anejo (5 Jahre alt) und dem dreijährigen Havana Club – golden eben. Oro halt. Schmeckt gut, zieht gut bei warmen Temperaturen und nach 15 km Fußmarsch. Bin ziemlich schnell ziemlich blau. Taxifahrt zurück ins Casa. Duschen und ab zum Casa de la Musica. NG La Banda um 22 Uhr – wir Trottel sind auch tatsächlich um 2230 oder so da. Der Typ am Einlaß klärt uns auf: Vor 0130 geht die Show nicht los, aber wir könnten uns in der Zeit ja noch ordentlich einen auf die Lampe gießen. Das ist uns zu lang, beim Gehen göbel ich noch schnell hinter einen Baum bzw. einem der Leibwächter von NG La Banda vor die Füße. Der denkt wohl drüber nach mir eine reinzuhauen, läßt es dann aber doch und grinst nur. Shit. Naja, ich schlafe wenigstens wie ein Stein.


31.03. (Mittwoch) Havana

Morgens wieder Gewaltmarsch zum Hotel Nacional um dort Fritz zu treffen. Der nimmt uns zum Rehearsal seiner neuen Show „Der Scheiß Geheimdienst list mit“ mit zu einer alten Garage.
Dort ist die Creme de la Creme der cubanischen Musikszene vertreten nur um für uns ein kleines Privatkonzert zu geben. Fernando kann vor Ehrfurcht kein Wort mehr sagen, ich fummele ständig mit meiner Kamera rum und alle denken, ich wäre furchtbar wichtig. Becky macht sich Notizen und führt Interviews. Fritz hat in der Tat einige cubanische Spitzenmusiker versammelt, alles voran den legendären Maracaibo Oriental. Wow. Sänger ist Luis „Unkraut vergeht niemals“ Frank, den wir auch schon seit sechs oder sieben Jahren kennen und der sich Sänger einer kleinen Combo auf dem Dach des Inglaterra mittlerweile hochgedient hat zum legendären Luis Frank, mit dem Compay Segundo als letztes auf Tournee gegangen ist. Luis hat gegenüber allen anderen cubanischen Musikern einen unschlagbaren Vorteil: Er trinkt nicht! Ist sicher Pilot des Raumschiffs, seine Sonnenbrillen sehen auch so aus.

Nach dem Konzert gehen wir nach Habana Vieja um den Haupttänzer der Show, Erik, zu treffen. Erik tanzt in der Bar Taberna und ist wirklich ein Genie. Lisbeth und Rafael gehen eigene Wege, Becky und ich essen im Meson de la Flota (recht okay). Wir gehen dann über den Handwerkermarkt am Hafen. Ich bin doch überrascht darüber, daß es nicht nur totalen Schund sondern auch Halbschund gibt. Kaufe einen Humidor für 20 USD, ein paar Zigarren („Real Cigar my frengggg“), T-Shirts usw. Apropos Zigarren: In Havana haben sie sogar diese bekloppte Hologramm, kostet allerdings meistens 10 USD extra. In Santiago wissen davon noch nichtmals, die Pappnasen. Wir gehen am Malecon entlang nach Hause, wieder 8 km auf der Uhr. Stelle übrigens zurück in Deutschland fest, daß die Zigarren, die ich gekauft habe, entweder extrem gute Fälschungen waren oder – unglaublich – doch nicht gefälscht war. Habe die Esplendidos für 20 Dollar 10 Stück schon Leute rauchen lassen, die sich damit extrem gut auskennen und die haben auch nix gemerkt. Man kann sich wirklich auf nix mehr verlassen.

Abends gehen Becky und ich in die Bar Delirio Habanero, oben im Theater am Platz der Revolucion. Toller Blick, ganz spaßiger Laden. Es spielt eine A-Capella-Gruppe – wie meistens in Cuba sehr gute Musiker(innen), mal was anderes. Der Service ist natürlich unter aller Sau. Stelle übrigens fest, daß erstaunlich viele Servicekräfte das Prinzip des Trinkgeldes gar nicht (mehr?) kennen. Das haben sie sich bei der Performance auch nicht verdient, aber zumindest die ersten Tage gebe ich doch immer noch was. Kaum einer will’s haben, sind die wohl auch nicht gewohnt. Aha. Publikum besteht aus Chicas mit Touris. Neben uns glauben vier Bubis, sie könnten die Chicas einfach so abschleppen. Als diese dann den Preis nennen, sind die Touris schnell wieder weg. Nachts regnet es, hört aber zum Glück am morgen wieder auf.

Bericht geht in den nächsten Tagen weiter mit...
... Fernandos13-jährige Töchter besuchen zum ersten Mal im Leben die Hauptstadt
... ein Tag in der Expocuba
... ein einzigartig geniales Live-Konzert im Balcon del Vedado
... Reise mit Mietwagen nach Santiago via Cienfuegos, Trinidad, Camaguey, Santa Lucia, Baracoa
... eine Woche in Santiago de Cuba


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20.05.2004 08:15
avatar  el lobo
#2 RE:Reisebericht - Cuba im April 2004
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Rey/Reina del Foro

Na ENDLICHAuf so einen Reisebericht haben wir
doch schon lange gewartet.Zwischem Privaten und schön
durchmischt aktuelles interessantes aus Cuba was sich
vermutlich vom Vorjahr dadurch unterscheidet das statt
2 nunmehr um 3 USD beschissen wird
Bin schon gespannt auf die "Verlängerung" vorallem was
SL anbelangt.
MfG El Lobo


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20.05.2004 08:41
avatar  Sharky
#3 RE:Reisebericht - Cuba im April 2004
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Top - Forenliebhaber/in

klasse Bericht, bin gespannt auf die Fortsetzung

Saludos Sharky


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20.05.2004 13:54 (zuletzt bearbeitet: 28.05.2004 12:47)
avatar  ( Gast )
#4 RE:Reisebericht - Cuba im April 2004
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( Gast )

So, hier der zweite Teil:

01.04. (Donnerstag) Havanna

Endlich mal länger schlafen. Es ist mal wieder bewölkt, regnet aber nicht mehr. Horacio erzählt beim Frühstück, wie saumäßig sich Touris aus anderen Ländern manchmal benehmen. Die Deutschen sind ihm am liebsten – etwas lahm, aber durchaus respektvoll im Umgang mit seinen vielen teuren Möbeln. Auf dem Kiecker hat er vor allem Neuseeländer. Die haben ihm sein 300 Jahre altes Bett ruiniert.

Fernando reserviert ein Casa in Cienfuegos, dessen Nummer ich aus dem Internet habe. Eigentlich, denn alle Nummern erweisen sich als falsch. Dank Horacio kommen wir doch noch zu potte. Wir gehen ins Casa de la Amistad und essen ein Sandwich. Eine mittelprächtige Kombo spielt auf, Fernando schnappt sich die Gitarre und gibt ein kleines Ständchen – prompt klappt das mit dem Onedollarfortheband auch besser.

Ich stelle fest, daß die in Deutschland so superdominante Variable „Zeit“ an Bedeutung vollkommen verloren hat. Das ist Urlaub! Es ist vollkommen egal, zu welcher Tageszeit man was macht.

Becky und ich treffen danach wieder Fritz und seinen Kumpel Fritzfritz. Heute ist ein Audit der Tänzer für Tanzshow angesagt, die Fritz vom cubanischen Staatsfernsehen „mietet“. Mit viel Sicherheits-Tam-Tam, Paß usw. bekommen wir Zutritt in die allerheiligsten Proberäume, quasi die Fame Academy des cubanischen Fernsehens – die liegt übrigens direkt auf der Rampa neben der Bar Sofia. Fritz schaltet von „Nice Guy“ auf streng um, die Tänzerinnen und Tänzer von gelangweilt auf „Jetzt geht es um alles“ – denn es sind noch zu viele; einige werden gehen müssen. Fritz und FritzFritz zahlen den Tänzerinnen und Tänzern 400 USD pro Woche zzgl. Unterkunft und Verpflegung. Andere Veranstalter beuten mehr aus. Dafür bekommen die beiden eben auch die Besten der Besten und die wiederum geben sich für cubanische Verhältnisse alle erdenkliche Mühe, nicht zu verreissen. Letztes mal als sie in Hamburg waren haben sie leider vergessen, den Wasserhahn einer Badewanne zuzudrehen. Das Wasser hat dazu geführt, daß die Decke feucht geworden ist und nach zwei Tagen eingekracht ist. Der darunterliegende Raum ist auch zusammengebrochen, Dominoeffekt, und das ganze Hotel war im Arsch. Natürlich war niemand schuld. Für Fritz und FritzFritz ist das „im Rahmen dessen was man erwartet, wenn man mit cubanischen Künstlern umgeht“. Fritz erzählt davon, daß Compay Segundo und Ibrahim Ferrer gerne mal kurz vor dem Auftritt ganz furchtbare Herzprobleme bekommen und leider absagen müssen. Es gibt dagegen allerdings eine ganz wunderbare Medizin, nämlich – je nachdem wie die Laune so ist – ein paar 100-Dollar Scheine extra. Ein Wundermittel. Deswegen werden die „alten Herren“ in Europa zur Zeit kaum noch gebucht, weil sich die Veranstalter wohl gegen diese Marotten zusammengeschlossen haben. Nette Anekdote.

Danach schmeißt Fritz eine Runde in der Bar Sofia, die auch dieses Jahr wieder den Preis „Most uninspired Location in Cuba“ von mir verliehen bekommt.

Becky und ich latschen weiter und treffen Fernando und Martina im Cafe Cantante mi Habana zur Matinee. Eigentlich wollten wir ins Casa de la Musica in Galiano, welches es noch gar nicht lange gibt. Charanga stand noch vor einem Tag auf dem Plan, zur Matinee. Dummer Anfängerfehler. Haben wir doch geglaubt, was da stand. Natürlich fällt das Konzert aus. Sänger krank. Aha. Abends aber wieder gesund. Da kostet’s nur 35 Dollar statt 100 Pesos. Mit dem Taxi zu Cantante mi Habana. Dort spielen Los Angeles de la Habana. 100 Pesos Eintritt, von Touris wollen sie 5 USD haben. Ist okay. Der Laden ist nicht ganz voll, vielleicht so um die 200 Leute. Die „Los Angeles“ sind eine Boyband, so im Stile von Charanga. Charanga ist übrigens nach VanVan momentan die Band, die am beliebtesten ist. Dem Ruhm nicht abträglich ist sicherlich, daß sich zwei Sänger von Charanga total vollgekokst an einen alten Mil8-Hubschrauber gehängt haben und daran über Havanna geflogen sind. War angeblich eine Wette mit Juan Formell von VanVan. Gab ein halbes Jahr Auftrittverbot. Die Geschichte habe ich mittlerweile schon so oft gehört, daß es fast sein könnte, daß daran ein Quentchen Wahrheit ist. Das Konzert bietet garantiert die allerlautesten Momente meines Lebens, Sound ist saumäßig ausgesteuert aber die Band fetzt gut los. Geniale Bühnenshow, fetzige Musik und Bier für 1 USD bzw. Flasche Rum für 8 USD ist auch okay. Diese Matineen sind wirklich der Tip. Geht offiziell um 16 Uhr los, also um 18.30 Uhr, und endet meistens gegen 20.00 Uhr. Man zahlt wenig Eintritt, die Stimmung ist gut, wenig Touris mit ihren Nutten, viele Cubaner. Mittlerweile überbieten sich das Cafe Cantate und die beiden Casa de la M mit ihren Matineen.

Nach dem Konzert sind wir ganz schön geschafft. Essen im Paladar El Hueco um die Ecke. Paladares gibt es übrigens kaum noch. Ich habe in ganz Havanna vielleicht drei oder vier davon gesehen. Der Staat besteuert alles total willkürlich, lohnt sich nicht mehr. Reiseführer sprechen davon, daß die staatlichen Restaurants auch besser geworden sind. Da haben die wohl einfach geglaubt, was man ihnen auf der Pressereise auf der Dachterrasse des Parque Central erzählt hat. Am erfolgreichsten auf der Suche nach einem guten Abendessen erweist es sich, einfach Cubaner zu fragen, ob sie einem gegen einen Obolus von 5,6,7 Dollar ein Essen machen würden. Das klappt so gut wie immer, ist meistens sehr lecker und manche haben sogar sowas wie Gewürze.

Morgen kommen die Töchter von Fernando aus Santiago: Rosa Maria und Rosalia. Sie sind 11 und 14 Jahre alt, richtige cubanische schwarze Chicas, die in ihren jungen Jahren schon atemberaubend schön sind. Oh je, Martina, Becky und ich denken alle das gleiche und fragen uns, wie lange es dauert, bis die von irgendeinem schmierigen Italiener, Franzosen oder Deutschen aufgegabelt werden. Fernando tut so, als würde er das Problem nicht so sehen, man merkt aber seinem Blick an, daß er auch schon darüber nachgedacht hat. Wenn er in Erfurt sitzt, kann er nicht viel dagegen tun. Fernando hat seinen Nachbarn überredet, mit den beiden im Zug nach Havanna zu kommen und will seinen Töchtern mal die Hauptstadt zeigen. Der Zug soll um 0500 Uhr in Havanna ankommen und wir diskutieren, auf wieviel Verspätung man sich verlassen kann. Stellt sich am kommenden morgen heraus, daß der Zug sogar pünktlich war. Was ist nur mit diesem Land los?

Fernando hat übrigens vor ein bis zwei Tagen erzählt, er würde sie mit dem Flieger zurück schicken. Dauert ja nur eine Stunde und kostet nur 90 Pesos pro Person, also gerade mal 4 Dollar. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, ihn zu belehren, daß es fast unmöglich ist für Cubaner, an diese Tickets zu kommen. Schließlich kennt man sich ja aus wenn man schon achtmal auf Cuba war. Fernando grinst sich einen und wettet mit mir um einen Besenstiel, daß er die Tickets bekommt. Er sollte Recht behalten. 10 Dollar Schmiergeld für den Schlangensteher, 5 Dollar für die Cubana-Ticket-Tante und dann nochmal 15 für die Tickets (Kids+Nachbar). Alles geht.


02.04. (Freitag)

Als ich frühmorgens ins Bad torkele steht Rosalia vor dem Spiegel. Ich dackel wieder ins Zimmer und mache meine Erfahrungen mit cubanischen Chicas, die Bäder belegen. Eine Chica verbringt einen großen Teil ihres Lebens vor Spiegeln und wenn die in Bädern hängen, ist die Chica damit auch im Bad. Ich lerne eine schier unendliche Vielfalt an Techniken, meinen Harndrang zu unterdrücken. 15 Monate Marine vor 12 Jahren und dabei erlernte Knotentechniken erweisen sich als äußerst nützlich.

Nach einem Frühstück laufen wir los in Richtung Coppelia. Fernando will den beiden Havanna zeigen und bedient sich meiner Ortskenntnis – GPS sei Dank. Becky und ich nehmen uns vor, die Mädels so richtig schön zu zermürben. Also erst in die Coppelia, wo Fernando Nachbar schon auf uns wartet und es irgendwie geschafft hat, uns an der Schlange vorbei zu lotsen. Ein Aufpasser quatscht uns an von wegen Touristen, Dollarbereich und so weiter. Wir ignorieren ihn einfach und der trollt sich. Eis essen für Moneda Nacional.

Dann gehen wir ins Habana Libre, ich will den Kids vom 25. Stock den Ausblick zeigen. Am Türsteher kommen wir vorbei, am Aufzug scheitern wir dann am Sicherheitsmann. Ich spiele die „Dein Stuhl wackelt / Ich habe Beziehungen / Weißt Du eigentlich wer ich bin?“-Nummer, die recht gut funktioniert. Er meint, ich müsse mit der Tante von Relaciones Publico sprechen. Man gewöhnt sich daran, daß Cubaner immer NEIN sagen wenn man sie fragt. Denn NEIN ist auf jeden Fall sicher. Wenn man JA sagt, übernimmt man die Verantwortung für das was dann kommt und im besten Fall kommt nichts, im schlimmsten Fall gibt es Probleme. Also immer schön NEIN, dann geht auch nix schief. Die Relaciones Publico-Tante ist eine ziemlich aufgedonnerte bildhübsche Mulattin, die sich die Fingernägel feilt und mit Mama telefoniert. Als ich mich höflich bemerkbar mache, gibt sie mir per Handzeichen zu verstehen, ich solle mich verpissen. Also mache ich mich unhöflich bemerkbar und – sieh an – es funktioniert prächtig. Sie sagt, in 10 Minuten würde sie sich um mein Problem kümmern. Ich sage, ich würde ihr zehn europäische Minuten geben, keine cubanischen. Andernfalls Eskalation. Nach acht Minuten baue ich meine 100 Kilo circa 5 Centimeter vor Ihrem Stuhl auf. Das hilft. Sie schnappt sich genervt den Schlüssel und geht mit mir zum Aufzug. Rafael, Becky, Lisbeth und die beiden Chicas stoßen dazu und wir fahren in den Executive Floor, den sie extra für uns aufschließt. Fantastischer klarer Blick über Havanna. Wir machen Fotos und fahren mit ihr wieder runter. Ich will ihr ein Tip in die Hand drücken, aber sie lehnt ab. Unten haut sie dem Sicherheitsmann vor dem Aufzug noch ziemlich wüste Beschimpfungen der Kategorie „Du hast keine Eier Du blöder Hurensohn“ um die Ohren und wackelt wieder zu ihrem Telefon.

Wir gehen weiter zum Malecon und setzen uns mittags in eines dieser vielen Cafés, die Habaguanex, die Firma von meinem „Freund“ Eusebio Leal, überall dort aufmacht, wo ein Haus eingekracht ist. Den Malecon hat der Staat offenbar aufgegeben. Hier wird nur noch sporadisch restauriert, das Meer hat gewonnen. Alles von Habaguanex ist besser als der Durchschnitt. Wir essen Pollo zu erschwinglichen Preisen und trinken Bier. Weiter den Prado hoch, an dem sie jetzt auch viel restaurieren zum Parque Central. Dort die besten Klos von Havanna im Hotel Parque Central, welches aber ansonsten dafür das es keine 10 Jahre alt ist schon wieder ziemlich heruntergekommen aussieht. In der Obispo lasse ich meine Sonnenbrille reparieren, für Touristen 5 Dollar, für Rafael 50 c. Wie gut, wenn man einen Cubaner dabei hat. Die Obispo ist mittlerweile Fußgängerzone, alles recht schick. Es gibt, das gabe es vor drei Jahren noch nicht, eine ganze Reihe italienischer Boutiquen, in denen primär Cubaner kaufen.

Weiter zum Hafen, dort mit der Fähre nach Casablanca. Um auf die Fähre zu kommen gibt es Sicherheitskontrollen wie am Flughafen aus Angst vor Entführern. Wer so eine Nußschale entführt, muß ziemlich verzweifelt sein. Dann Spaziergang zu Christo Rei, wo man allerdings leider die Bierstände wieder abgebaut hat. Schade. Wir setzen wieder über und fahren mit dem Taxi zurück ins Casa. Die beiden Chicas haben die Nase gestrichen voll von diesen loco alemanes, die pausenlos durch die Gegend laufen.

Abends sind wir bei Fernando Tante Ana zum Essen eingeladen. Das Essen ist superlecker und reichlich. Die Wohnung im Obergeschoß eines alten Hauses in typisch cubanischem Zustand. Putz, Farbe, Tapete sind halt teuer. Es gibt übrigens zwei Dinge, die in keiner cubanischen Wohnung fehlen: Der Fernseher und eine kitschige Plastikuhr.

Becky und ich wundern uns über die Art, in der Cubaner miteinander umgehen. Eine Mischung aus Wärme und Herzlichkeit auf der einen Seite aber doch auch Härte und Rücksichtslosigkeit auf der anderen. Da sich Cubaner ja primär vom Rum ernähen, spielt Essen auch keine große Rolle. Das macht man nur, um nicht so aufzufallen. Es geht dabei darum, möglichst schnell die besten Stücke in sich reinzuschaufeln, wobei es beim Essen nur eine Kategorie gibt: Fleisch und „DasZeugsworaufdieseTourisimmersostehen“, also zum Beispiel Salat oder Gemüse. Danach spielen wir auf der Terrasse unseres Casa Uno und trinken Rum. Becky und ich wollen abends noch zu VanVan im Casa de la Musica, Fernando und Martina ist der Eintritt mit 25 USD zu teuer.Becky und ich werden durch den Rum müde und verlieren auch die Lust.

Viel Sonne genossen. Viel über cubanische Kultur und das cubanische Leben gelernt. Totale Perspektivlosigkeit, große Gelassenheit, viel Alkohol, glasklares Frauen-Männer-Verständnis (nix Emanzipation), kein Zeitgefühl, extrem mieses Servicedenken und ziemlich rücksichtsloser Umgang miteinander und zu allem ein allmächtiger Papa Staat. Aber eben auch viel Emotion, Gastfreundlichkeit, Romantik.

Fernando erzählt abends noch viel über cubanische Musik. Er klärt uns auf, daß es eigentlich nur zwei bis drei Pfeiler der modernen cubanischen Musik gibt und daß aus bestimmten Gruppen durch Fluktuation der Sänger dann neue entstehen. Eine Wurzel ist Van Van, eine ist NG La Band und die dritte Charanga.


03.04. (Samstag) Havanna

Die Kids wollen unbedingt zum Parque Lenin. Lernt man in Santiago in der Schule, daß das das beste, tollste und größte in Havanna ist. Also machen wir uns auf die Suche nach einem Transport. Ein Fahrer erzählt uns, daß Charanga in der Expocuba spielt. Ich hatte am Tag zuvor offenbar zu viel Sonne und glaube ihm. Also auf zur Expocuba. Wir zahlen 10 USD; Fernando mit den Kids 5. Expocuba kennen wir schon von früher.

Ich liebe sowas, bin damit aber wahrscheinlich ziemlich allein auf weiter Flur. Expocuba ist wie die Expo in Hannover allerdings im cubanischen Stil. 8-) In fast 20 Themenhallen stellt die cubanische Wirtschaft ihrer Errungenschaften vor, dazu gibt es Fahrgeschäfte wie auf einer Kirmes, Freßbuden, einen Park und eine Veranstaltungshalle. Alles für Pesos und alles fest in cubanischen Händen, also überhaupt gar keine Touris. Fernando spielt den treusorgenden Familienvater auf Ausflug und stellt sich mit den Chicas stundenlang in endlosen Schlangen an um dann auf Geräten zu fahren, bei deren bloßem Anblick jeder deutsche TÜV-Prüfer sofort einen Herzinfarkt bekäme. Alles extrem trashig, aber eben irgendwie auch sehr authentisch. Die Ausstellungshallen sind natürlich vollkommen leer, abgesehen von mindestens zehn Aufpassern je Halle, die in der Gegend rumsitzen und Radio hören oder sich unterhalten. Ich mache nach einiger Suche einen Bierstand aus und kaufe eine Menge Bier für Moneda Nacional. Trinkbar. Essen ist durchweg unter aller Sau.

Bei Martina und mir macht sich langsam Ärger darüber breit, wie saubeschissen der Staat seine eigenen Leute behandelt. Die bekommen wirklich nur Mist vorgesetzt.

Wir finden nach ausgiebiger Suche dann doch eine Dollar-Oase, eine Art Café. Dort gibt es auch Rum und leckere Sandwiches für niedrige Dollarpreise. Wir knallen uns einen in die Rübe. Zurück geht es mit dem Zug, welcher einmal am Tag von Expocuba nach Havanna fährt. Ein geiles Erlebnis. Es handelt sich offenbar um einen Schienenbus der Deutschen Bahn, alle Beschriftungen sind noch in Deutsch und das Gefährt riecht sogar noch nach dem Desinfektionsmittel der Mitropa. Die cubanische Zugebasatzung, 5 Leute, freut sich, einen Deutschen als Passagier zu haben. Für die 15 km Strecke brauchen wir zweieinhalb Stunden – zu Fuß hätte man das in der gleichen Zeit schaffen können. Aber für 1 MN ist es ein tolles Erlebnis zumal man lange nah am Flughafen vorbei fährt.

Abends wollen wir in die Disse 1830. Als wir dort sind, ist alles geschlossen. Wir fragen ein paar Cubaner, die auch ziemlich ratlos sind und meinen, daß irgendwie auf einmal alles geschlossen wäre. Wir gehen ins Casa de la Musica, wo aber auch nur eine totale Gurkencombo spielt, der Eintritt 25 USD beträgt und wir angesichts des Publikums auch keinen Bock haben, uns das anzutun. Also zurück ins Casa, Rum, Uno, ins Bett.


04.04. (Sonntag) Havanna

Morgens fragt uns Horacio, ob wir auch auf dem Malecon beim Konzert von VanVan und Charanga waren weil doch UJC-Tag war. Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhh! Warum können diese Hirnis keine Plakate aushängen? Ich beiße mir den ganzen Tag in den Arsch. Das erklärt auch, warum die ganzen Dissen Samstagabend zu hatten.

Wir ertränken unseren Frust im Pool des Hotel Riviera. Sehr authentisch. Vom Komfort her gerade noch so, daß man es anspruchsvollen Touristen zumuten kann, allerdings ziemlich fest in cubanischer Hand. 5 USD kostet der Eintritt für Nicht-Gäste, dafür bekommt man wenigstens ein Handtuch geliehen. Das Riviera ist ein klassischer Fall dafür, wie die Dinge verkommen, wenn sie in Händen von cubanischem Management sind. Erst vor vier oder fünf Jahren hat Gran Caribe den ganzen Schuppen renoviert und schon isser wieder hinüber. Naja.

Wir essen überteuerte Pizza und Spaghetti an der Snackbar und ich liefere mir mit der Bedienung ein „Ihr Stuhl wackelt“-Gefecht, weil diese den „Das Wechselgeld hast Du schon bekommen“-Trick probiert. Ich brenne total durch und mache die gute Frau auf Englisch an, schmeiße mit wüsten Beschimpfungen um mich, schaue ihr tief in die Augen und schwöre ihr dabei, daß ich sie irgendwann kriege und mich räche und ob es meine letzte Tat auf Erden wäre. Etwas übertrieben. Es ist fast erholsam, daß man sich nach wenigen Tagen auf Cuba (leider) daran gewöhnt hat, primär unfreundlich zu Bedienungen zu sein. Die erwarten das, Freundlichkeit wird oft als Schwäche verstanden. Ich weiß, daß das komisch klingt...

Abends sind wir wieder bei Tante Ana eingeladen. Die ganze Familie kommt zusammen und, einhergehend mit dem Konsum einiger Flaschen Rum, entwickelt sich ein geniales Hauskonzert auf dem „Balcon del Vedado“. Jeder von Rafael’s Verwandten toppt diese deutschen Superstar-Flaschen um Längen. Es spielen auf: Cousin „Jimi“ Hendrix, Bolero Bob, Ibrahim Onkel, Blues-Cousine und Charanga – Cousin. Alle Stilrichtungen sind vertreten. Unbeschreibliche Momente. Ich sitze auf dem Boden, höre zu, rauche einer meiner heißgeliebten Zigarren und verfolge, wie der Rauch an die Decke steigt und denke „Jetzt sterben.“. Ich habe meine Kamera vergessen, was irgendwie auch gut ist, denn so konzentriere ich mich darauf, die Momente nich zu technisch aufzunehmen sondern emotional. Quasi mit dem Herzen. Denke über das cubanische Leben nach. Man gewöhnt sich daran: Rum, zu spät kommen, spät ins Bett gehen, Mist essen, nicht immer an morgen denken und Pläne machen. Ich stelle fest, daß es in cubanischen Familien ungemein populär ist, sich versaute Witze zu erzählen. Das können die stundenlang.

Der letzte Abend in Havanna. Morgen geht die Fahrt durch’s Land bis Santiago los.


05.04. (Montag) Havanna – Matanzas – Cienfuegos

Morgens latschen Becky und ich zur Autovermietung. Wir hatten im Internet herausgefunden, daß die Buchung eines Audi A4 bei Vacacionar nach einiger Verhandlung via email billiger ist, als alle anderen Angebote für kleinere Autos – ja auch die aus dem Forum. Und da man zu viert fährt, dachte ich mir, daß ein A4 nicht verkehrt ist. Vacacionar arbeitet mit Rex.

Bei Rex angekommen rechnen wir natürlich damit, daß die weder die Reservierung, noch ein Auto haben noch irgendwas klappt. Stattdessen kommen wir nach nur 20 Minuten Wartezeit (Telefonat mit Mama) dran. Einzig mit der Versicherung will uns die Angestellt reinlegen, würde jetzt 25 USD pro Tag kosten (!!!) statt 20 wie im Internet steht. Wäre halt so. Preise würden sich eben ändern. Aha. Ich ziehe mein Handy und rufe Vacacionar an, frage Juan Carlos, den Boß, ob es da vielleicht ein klitzekleines Mißverständnis gibt. Einstweilen fischt die Angestellt eine Liste mit Namen von denen heraus, die noch für 20 USD gebucht haben und auch die 20 USD nur zu bezahlen brauchen. Sie findet meinen Namen dort nicht, grinst verlegen und will 25 haben. Ich gebe ihr den Tip, auf der Liste mit 50 Namen nicht erst ab Position 2 zu suchen, sondern mal an Position eins zu schauen denn da steht – oh Wunder – doch tatsächlich mein Name. Sowas aber auch. J Wir bekommen einen fast nagelneuen Audi A4, gerade mal 8000 km gefahren und keine acht Wochen alt. Ich bin zutiefst beeindruckt. Sogar mit CD-Spieler und allem Schnickschnack. Das ganze für keine 60 USD am Tag inkl. aller Kilometer und ohne zusätzliche Rückführgebühr von Santiago nach Havanna. Wir checken aus unserem Casa aus und fahren erstmal in Richtung Matanzas, weil wir dort ein Paket abgeben müssen. Landen dummerweise in Boyeros, also vollkommen falsch. Beschilderung ist leider nicht so gut, aber das GPS erweist sich als sehr nützlich. Nach zwei Stunden sind wir in Matanzas und finden sogar recht schnell die Adresse zu der wir wollten. Werden dort bereits erwartet, geben Paket mit Nagellack ab und die Mädels lassen sich gleich die Nägel machen. Kaffee trinken. Weiter nach Cienfuegos. Dort kommen wir nach drei Stunden auf sehr guten Straßen an. Varadero schenken wir uns, würde uns zu sehr runterziehen. In Cienfuegos ins Casa Pepe. Sehr gut. Wir haben das Haus für uns. Abends gehen wir in die Stadt. Ich liebe Cienfuegos. Ist total „uncubanisch“ weil alles sehr sauber und schnieke ist. Schicke Fußgängerzone, prall gefüllte Geschäfte, ein superschöner Parque Central, relativ gut restaurierte Gebäude. Rafael ruft in Santiago an und erfährt, daß seine Kinder heil und pünktlich angekommen sind. Was ist nur los in diesem Land? Wir kaufen Rum und spielen bis in die Morgenstunden Uno, quatschen, ziehen uns das cubanische Leben rein. Cienfuegos ist wirklich ein Tip, wir nehmen uns vor, hier nächstes Mal mehr Zeit zu verbringen.


06.04. (Dienstag) Cienfuegos – Trinidad

Fulminantes Frühstück. Pepe erweist sich als Marketing-Spezialist und erzählt, daß er immer ein supertolles Frühstück macht, was ihn nicht viel kostet, aber dafür eine Lonely-Planet-Nennung eingebracht hat. Das macht ihm die Bude immer gut voll.

Wir fahren nach Punta Gorda – ein unfaßbar schöner Ort. Tolles Gebäude, einzigartiger Ausblick auch auf das AKW in Cienfuegos, welches zu 70% fertig ist, aber offenbar nicht mehr in Betrieb genommen wird. Vielleicht besser so. Danach fahren wir nach Playa Rancho Luna und lassen Auto Auto und Reise Reise sein. Wir ziehen uns die Klamotten aus und legen uns mit ein paar Bier bewaffnet an den Strand. Becky und ich stellen fest, daß Rafael mit jedem Tag sein Deutsch immer mehr vergißt. All die Jahre der Übung in Erfurt für die Katz’? Weiterfahrt nach Trinidad. Der Bordcomputer des A4 piept und zeigt kryptische Warnsignale, die mir leider nichts sagen. Macht mich jedenfalls wach. Ich beschließe, sie einfach zu ignorieren und fahre weiter. Mein Vertrauen in deutsche Ingenieure ist sehr tief und nachhaltig. Es sollte mich auch nicht enttäuschen. In Trinidad treffen wir auf Fernandos Mama Rosalia und seine Schwester Odalis. Odalis arbeitet und lebt dort, Rosalia pendelt immer zwischen Trinidad, Santiago und Sancti Spiritus. Odalis ist Buchhalterin in einer Baufirma und arbeitet 12 Stunden am Tag. Eine verdiente Sozialistin ohne Dollar. Entsprechend einfach muß sie auch leben – ohne fließendes Wasser und nur mit wenig Strom. Becky und ich setzen uns auf die Straße und schauen dem Leben zu. Rafael und Lisbeth schlafen bei der Schwester, Becky und ich suchen uns ein Casa mit Garage. Ist in Trinidad besser. Die Garage ist exakt einen 1cm größer als mein A4 und als ich versuche, da rückwärts reinzufahren kommt die gesamte Nachbarschaft zusammen. Jetzt nicht blamieren. Zum Glück fahre ich auch einen Audi als Dienstwagen und kenne einigermaßen den Wendekreis und die Maße. Komme ohne Probleme in die Garage rein. Applaus. Lobendes Nicken. Puh.
Von der russischen Aircon im Casa ist natürlich der Kompressor kaputt. Das sind sie meistens. Egal. In Trinidad stelle ich übrigens fest, daß man dort 1A offiziell Zigarren kaufen kann. Die Auswahl ist einzigartig und die Zigarren sind meistens auch recht frisch. Es gibt alles von Robaina, was eine Seltenheit ist.
Wir gehen durch Trinidad. Viele Touris. Habe Trinidad noch nie gemocht. Aggressive Bevölkerung, die eben außer Touris keine Einnahmequelle haben. Null Perspektiven hier und folglich die mit Abstand höchste Kriminalitätsrate Cubas. Abends essen wir bei Odalis. Mutter kocht alles was die cubanische Küche hergibt und das auf nur einer Herdplatte. Wow. Lecker. Dann schauen alle Telenovela, irgendsoeinen Kram mit Nazis in Argentininen, so ein bißchen Casablanca-like. Die Damen finden die Nazi-Offiziere unheimlich schneidig, die Herren ergötzen sich an den blonden deutschen Frolleins, Becky und ich sind etwas reserviert.
Abends geht’s ins Casa de la Musica. Tanzen als Kulturtechnik in Cuba. Ich kann’s immer noch nicht, habe auch zu wenig geübt und habe furchtbar Angst, mich total lächerlich zu machen. Nehme mir fest vor, vor dem nächsten Urlaub wenigstens einigermaßen Salsa zu lernen. Es gibt tolle Darbietungen von Jugendlichen, die alle Charanga-Schritte und noch mehr drauf haben. Viel Rum. Zigarre. Rafael trinkt noch mehr Rum. Um 24 Uhr hat sein Cousin Geburtstag. Ich schenke ihm ein Nike-Fake-Shirt aus Thailand. Er freut sich – Nike ist gut. Aha.

Bericht geht in den nächsten Tagen weiter.
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