Die Kuh des kleinen Mannes

20.09.2004 15:27
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#1 Die Kuh des kleinen Mannes
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Aus Spiegel.de vom 20.09.2004 von Ralf Hoppe

EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE

Milch für alle

Wie ein Kubaner den Sozialismus retten will.

Don Raúl hat Schwielen an den Händen, einen gelben Sombrero, und er hat Ideen. Seine Lieblingsidee: dass jeder Kubaner sich eine Kuh hielte.

Eine Kuh in jeder Arbeiterwohnung, eine Kuh in jedem Häuschen, eine Kuh in jedem Hinterhof, oder auch zwei, damit wären alle Probleme der kubanischen Planökonomie gelöst, jedenfalls die dringlichsten. Jeden Morgen könnten die Kinder sich satt trinken an frischer Milch: reich an Proteinen sowie den Vitaminen A, B1 und E, dazu Käse, Butter, fantástico.

Ein Haken war dabei.

Kühe sind groß, Widerristhöhe bis zu 150 Zentimeter, und Kuba ist klein. Die kubanischen Wohnungen sind auf charmante Art alt und eng, und wenn ein Bos primigenius f. taurus seine 700 Kilogramm Lebendgewicht durch zweieinhalb ohnehin renovierungsbedürftige Zimmer schiebt, den Fernseher abfegt, aufs Baby tritt, aufs Sofa strullt: schwierig.


Andere Männer als Don Raúl hätten wahrscheinlich an dieser Stelle aufgegeben, sie hätten sich noch ein kaltes "Cristal"-Bier aus der Küche geholt, dazu ein paar Nüsse - und den irren Plan vergessen. Don Raúl jedoch blieb sitzen.

Es wurde Abend. Don Raúl saß auf seiner Veranda. Putzte seine Brille, dachte nach.

Raúl Antonio Hernández Loaces ist 74 Jahre, klein, zäh, breitschultrig. Gründungsmitglied des Partido Comunista de Cuba, der Kommunistischen Partei. Agrarökonom, verheiratet in zweiter Ehe mit der lebhaften Doña Zenaida, hübsch und 26 Jahre jünger, wohnhaft in San Juan y Martínez, zwei Autostunden südwestlich von Havanna.

Don Raúl: Probleme sind zum Lösen da.

Der Mann saß also in seinem Lieblingsschaukelstuhl, pfiff vor sich hin und schaute auf die roten Blumen "Mar Pacífico", die im Vorgarten blühten. Paloma, seine Wachhündin, kam und wedelte mit dem Schwanz, Don Raúl klopfte ihr auf den Rücken, braver Hund. Gutes Tier, stubenrein, nicht zu groß. Der Abend war mild und friedlich. Die Kinder in seinem Land brauchten Milch, dringend.

Das war vor sieben Jahren.

Die berühmteste aller kubanischen Kühe war "Ubre Blanca", Weißes Euter, eine Mischung aus Holsteiner und Zebu. An einem Tag im Januar des Jahres 1982 gab Ubre Blanca legendäre 109,5 Liter Milch, und bald darauf brach sie das kubanische Plansoll sowie den damaligen Weltrekord mit einer Leistung von 24 268,9 Litern in 305 Tagen.

Klar, dass Fidel Castro sich mit dem vorbildlichen Tier fotografieren ließ; verständlich auch, dass man nach ihrem Tode, 1985, von Ubre Blanca Gewebeproben einfror und das restliche Tier ausstopfte und in die Eingangshalle des Nationalen Veterinärinstituts stellte. Angeblich hat Castro unlängst seinen Wissenschaftlern befohlen, die Wunderkuh zu klonen, um der Milchkrise ein Ende zu setzen - vergebens. Die einst erfolgreiche Milchproduktion ist seit Ende der achtziger Jahre um 60 Prozent gesunken.

Damals bekam jedes Schulkind bis zum Alter von 13 Jahren täglich ein gesundes Glas Milch verabreicht - inzwischen gibt es Vollmilch nur noch für die ganz Kleinen. Damals gab es noch mächtige sozialistische Bruderstaaten, damals konnten die Kubaner über ein US-Embargo noch lachen.

Es gibt bis heute keine Wunderkuh in Kuba. Es gibt Sojamilch, sie ist bläulich.

Don Raúl seufzte. Sein Blick fiel auf die Kaninchenställe. Kaninchen sind unkomplizierte Tiere, weil klein, kompakt.

Und da war sie, die Lösung.

Nicht ins Gigantische, nein - ins Knuffige musste sich das System entwickeln. Die Kuh des kleinen Mannes: Sie musste klein sein.

Es würde schwierig sein, aber es könnte gehen. Und Don Raúl stand auf und holte sich endlich ein "Cristal"-Bier aus der Küche.

Im Jahr darauf wurde er pensioniert, unverzüglich machte er sich an die Arbeit. Er besorgte sich ein Maßband, engagierte seinen Kumpel Coco. Sie richteten auf Raúls Finca in Santa Isabel die Ställe her, zäunten Weiden ein, machten sich auf die Suche nach kleinen Kühen und Mini-Bullen.

"Auf den staatlichen Fincas sind kleine Tiere Ausschuss", sagt Raúl, "ich kriegte sie, wurde aber ausgelacht."

Der erste Züchtungserfolg war "Campesino", Bauer, 110 Zentimeter hoch. Campesinos Nachkommen, Nanino und Abuela, waren leider etwas größer, doch Naninos Abkömmlinge wiederum erwiesen sich als erfreulich klein: Coquita, Paloma, Tojosa und der knuddelige Gustavito.

Und so kreuzten Raúl und Coco in ihrem Streichelzoo fröhlich drauflos, Väter und Töchter, Cousins und Cousinen, und irgendwann bekamen sie Caramelo, den Bonbon-Stier, einen Meter hoch, den sie auf die hübsche Mariposa und auf Blanquita steigen ließen - und, demnächst, in neun Monaten, steht eine neue Generation an, Caramelos Kinder, die Kleinsten von allen, hoffentlich.

"Ich rechne mit einer Höhe von 60 Zentimetern", sagt Raúl. 60 Zentimeter: Nicht mal halb so hoch wie die Großen, die Tierchen könnten bequem unter jedem Küchentisch hindurchwutschen. Das stolze Kuba, Castros Bastion des Fortschritts, wird zum Land der Mini-Kühe.

Die Tiere, sagt Don Raúl, geben knapp vier Liter Milch am Tag, fantástico.

RALF HOPPE


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20.09.2004 15:54
avatar  elcrocoloco ( gelöscht )
#2 RE:Die Kuh des kleinen Mannes
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elcrocoloco ( gelöscht )

Dieser Bericht wurde schon vor einigen Wochen bei den "Pressemeldungen" ausführlich abgehandelt(mit Bildern).

=§:-))))


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