Revolutionär mit goldenem Herzen

27.10.2004 08:05
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#1 Revolutionär mit goldenem Herzen
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Rey/Reina del Foro

Mittwoch, 27. Oktober 2004

Revolutionär mit goldenem Herzen
Der Film "Die Reise des jungen Che" von Walter Salles zeigt Che Guevara als Dschungeldoktor
Ulrich Seidler

Ernesto Guevara schreibt an seine Mama: "Jetzt und in Zukunft vertrauen wir nur auf die Allmächtige." Wer ist diese Allmächtige? Die historische Mission der Unterdrückten? Die Weltrevolution? Nein, es ist eine 500er Norton, Baujahr 1939 - ein Motorrad. Und es gehört einiger religiöser Schwung dazu, an die Allmacht des Gefährts zu glauben, denn das Ding pinkelt schon zu Hause in Buenos Aires Öl. Dabei soll es Ernesto und seinen Freund Alberto Granado aber noch bis nach Caracas, Venezuela, kutschieren. Das sind über tausend Kilometer, die nur phasenweise auf Straßen zu absolvieren sind. Andenpässe, Atacamawüste, Amazonassümpfe - das ganze harte Programm. Diese Motorradfahrt ist biografisch belegt. Der Film "Die Reise des jungen Che" von Walter Salles zeichnet sie als Bildungsreise nach, genauer: als Persönlichkeitsbildungsreise, und noch genauer: als Revolutionsführerpersönlichkeitsbildungsreise - mit opulenten Landschaftsaufnahmen und opulenter Menschlichkeit. Die sozialistische Revolution stellt man sich als eine Wohlfahrtsveranstaltung im Urlaubsparadies vor.

Alberto ist Biochemiker, Ernesto Medizinstudent. Sie sind Abenteurer aus Langeweile. Alberto (Rodrigo De la Serna) ist ein pummeliger Schwerenöter, der unter jeden Rock will und den Leuten wortgewandt Kost und Logis aus den Rippen leiert. Und Ernesto (Gael García Bernal) ist eine treue Seele in einem libidinösen, historisch korrekt asthmageplagten Körper. Fünfzehn US-Dollar, die ihm seine adelige Freundin für einen Bikini mitgegeben hat, verwahrt er treu. Erst als die junge Frau ihm den Laufpass gibt, spendet Ernesto das Geld - um das ihn Alberto in diesem Film permanent für Essen, Mechaniker oder Huren anbettelt - einem Minenarbeiter.

Ernesto, der bekanntlich später als Revolutionsführer hingerichtet wird, ist ein derart feiner Kerl, dass sein zwar auch sympathischer, aber eben moralisch noch wackeliger Freund immer wieder etwas zum Thema ausrufen muss. "Du beherzigst wohl immer den hypokratischen Eid!" brüllt er, als Ernesto eine sterbende Patientin dem lustigen Stadtbummel vorzieht. Oder "Deine verfluchte Ehrlichkeit! Um zu helfen, könntest du ruhig einmal lügen!", als Ernesto bei einem versteckten Altnazi Krebs diagnostiziert, statt das Geschwür als Eiterbeule zu behandeln und damit eine Unterkunft zu erschwindeln. Ernestos Grundgüte geht so weit, dass er sich an seinem 24. Geburtstag, angeheitert von Mambo und Rum in den Amazonas wirft, um zu den zwangsisolierten Leprakranken hinüberzuschwimmen, die mit ihm feiern sollen. Ärzte und Pfleger stehen am hiesigen Ufer und versuchen Ernesto, den Asthmatiker zwischen hungrigen Krokodilen, mit aufgeregtem Rufen zur Vernunft zu bringen, statt ihn in gebotener Eile und Umsicht mit dem Boot herauszufischen. Der Film zeigt, dass Ernesto sogar noch besser ist als die Nonnen, die nur jenen Essen geben, die auch zur Messe gehen.

Auf der Reise begegnen Ernesto und Alberto lauter exemplarischen Unterschichtlern, die ihre Diskussionsbeiträge vorbereitet zu haben scheinen: vertriebene Bauern mit erblindender Kuh, Minenarbeiter, Quechua-Indianer, Kommunisten ("ihre Augen hatten etwas Dunkles, Tragisches") - alle diese Elenden, die das Gewissen des Reisenden durchgeistern, tauchen am Ende des Films auf wunderschön fotografierten Schwarz-Weiß-Tableaus wieder auf. Und Ernesto sagt zu seinem Freund, dass er nun die Eindrücke der Reise erst einmal verarbeiten müsse und dabei ganz für sich sein wolle. Der Film lässt seinen Protagonisten, den Revolutionär mit dem goldenen Herzen, im Rückblick auf sein Leben die Frage stellen, ob er nicht zu konsequente Schlüsse aus seinen Erlebnissen gezogen habe. "Vielleicht" haucht er sich im Off, das man sich als himmlisches Jenseits denken darf, als Antwort zu.

Robert Redford war einer der ausführenden Produzenten; er fasst das Problem dieses Films auf das Genaueste zusammen: "Der Film bot die ideale Gelegenheit, mit Salles zusammenzuarbeiten, vor allem, weil Che Guevara so ein heikles Thema sein kann. Ich wusste, Walter würde die Geschichte eher lyrisch und voller Menschlichkeit behandeln als sich auf die politische Debatte einzulassen, wer Ernesto später wurde." Das Heikle, Politische an dem Stoff wäre aber das Interessante gewesen. Das Lyrische und Menschliche daran, das hat, wer durch die Rebellion der Pubertät ging, selbst erlebt.

Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeit...ton/389769.html


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31.10.2004 09:56
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#2 RE:Revolutionär mit goldenem Herzen
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Rey/Reina del Foro

In Antwort auf:
Guevara, Bunke, Castro und Allende

Sanfte Revolution in Hollywood? – Walter Salles’ Roadmovie »Die Reise des jungen Che« und was sich sonst noch rechnet

Von Eberhard Panitz

Schon vor Jahr und Tag, Jahrzehnte nach seiner Ermordung in den Anden durch bolivianische Ranger und CIA-Agenten, wurde der Arzt, marxistisch gebildete Revolutionär und einstige kubanische Wirtschaftsminister Che Guevara von der westlichen Mode- und Medienwelt zur Kultfigur und zum Pop-Star erklärt. Da kam es nicht mehr so sehr auf Einzelheiten und Wirkliches an, gleich gar nicht um klar umrissene politische Ziele und Kämpfe – ein Poster und ein T-Shirt mit dem retuschierten Konterfei irrlichterten weltweit. »Che ist der erste (und letzte) Linke, der zum Pop-Star wurde, ein Übermensch wie John F. Kennedy, wie Humphrey Bogart oder Micky Maus, wie Jesus oder Tarzan. Er sah gut aus, er kämpfte für das Gute, er schoß gut, er war mutig und er wurde ermordet –er hatte alles, was einen Menschen unsterblich macht«, schrieb der »Spiegel« zu dessen dreißigstem Todesjahr. In den emsig gefertigten Filmen, Theaterstücken und sogar Musicals sei er Stück für Stück zu einem »Heiligen« geworden, der Zigarre rauchte und viele Frauen hatte – »so stark und so edel, daß die Leute vom ›Mythos‹ zu sprechen begannen, was sie immer dann tun, wenn sie nicht mehr genau wissen, weshalb ein allseits verehrter Mensch verehrt wird.«

Nun ist wieder ein Che-Film da, weitere werden angekündigt. Der »Spiegel« ist erneut sehr rührig und widmet ihm das Titelblatt seines monatlichen »Kulturspiegels«, nennt ihn jetzt freundlich den »sanften Rebellen«, aber macht zugleich dingfest, dass mit dieser »Reise des jungen Che« so etwas wie eine »Revolution im Hollywood-Kino« angeführt werde. Robert Redford, der Produzent dieses Filmes, erklärt: »Nichts hält einen Mythos so frisch wie ein früher Tod«, also plant man gleich das nächste Che-Spektakel, diesmal direkt Ende und Tod in Bolivien: »Franka Potente soll Guevaras Gefährtin Tamara Bunke spielen, die Anfang der sechziger Jahre aus der DDR nach Kuba ging und wenige Wochen vor Che ebenfalls in Bolivien starb.« Vor drei Jahren hatte ich davon schon durch Alexander Osang gehört, der aus Hollywood in »Spiegel«-Diensten kam und auch bei Nadja Bunke, Tamaras Mutter, vorfühlte, wie sie über das »Roadmovie« – den Motorradfilm – und einen weiteren, nämlich »romantischen Film« eines anderen Produzenten dächte: Che Guevara und Tamara. »Sie trifft ihn, und es wirft sie um. Da stehen all diese Parteibürokraten in ihren billigen Anzügen, und plötzlich kommen die Kubaner an, sie stecken in Kampfuniformen, sie haben Bärte, Barette und rauchen Zigarren. Wenig später geht sie nach Kuba, da passiert es. Sie trifft Che wieder, und er bittet sie, mit ihm die Revolution in die Welt zu tragen. Sie geht ins beschissene Bolivien, heiratet zum Schein einen einheimischen Jungen, sie hat inzwischen schon drei oder vier Identitäten und wartet auf Che. Zwei Jahre lang ganz allein. Eine junge Revolutionärin zwischen all diesen rechten Bolivianern. Dann kommt Che, geht in den Dschungel, verrennt sich. Und im Finale entscheidet sich diese Mata Hari, diese aufregende, außerordentliche Frau, an seiner Seite zu sterben.« Allerdings war laut Osang im »Spiegel« (11. 3. 2002) damals noch Kati Witt als »Mata Hari« im Gespräch, jetzt müssen wir wohl demnächst mit »Lola rennt« im Dschungel rechnen.

Und es kommt noch mehr auf uns zu: Salvador Allende und die deutsche Kommunistin Olga Benario, die an der Seite des »Ritters der Hoffnung« Luiz Carlos Prestes, des brasilianischer KP-Chefs, im südamerikanischen Freiheitskampf focht – allesamt einst Todfeinde der USA, sind heutigentags zu Superhelden im Hollywood-Kino avanciert. Hatte man jahrzehntelang die schändlichsten Militärregimes und Terrorgruppen mit Dollarmillionen bedacht, so fließen heute reichlich Gelder in die Filme über jene Revolutionäre, die früher von diesen Regimen oder den allseits präsenten US-Diensten gejagt und niedergemetzelt wurden. Wer sich über diese »Wende« der Leinwandidole wundert, mag sich wundern. »Vielleicht hat dies mit der aktuellen aggressiven Außenpolitik der USA zu tun, vielleicht auch mit der Erkenntnis ihres Scheiterns, die längst nicht mehr allein bei den demokratisch orientierten Intellektuellen des Landes zum Comon Sense gehört«, mutmaßt der neueste »Kulturspiegel«. »Jedenfalls scheint es für Hollywood geboten, sich nun mit den Verwüstungen zu beschäftigen, welche die Weltmacht jahrzehntelang im Süden des eigenen Kontinents angerichtet hat. Warum, so lautet die Frage, werden wir selbst von unseren Nachbarn so gehaßt?«

Auch eines noch lebenden Revolutionshelden aus der nächsten Nachbarschaft – keineswegs jung an Jahren – hat man sich angenommen: Fidel Castro. Zwar hatte Robert Redford erklärt, dass Castro deshalb »nie die kultische Verehrung« zuteil werden könne wie Che – mehr als hundert Attentate und Terroranschläge auf ihn waren ja missglückt. Oliver Stone, der Regisseur weltberühmter Filme wie »Platoon«, »John F. Kennedy«, »Natural Born Killers«, sah keinen Grund, deshalb dem leibhaftigen Idol nicht mit der Kamera bis in die Staatskarosse zu folgen und eine Dokumentation zu schaffen, die als »filmisches Denkmal« manchem missfällt. Man kennt ja die jüngsten Hasstiraden gegen den 78-Jährigen nach dem Sturz und seinen schweren Knie- und Armverletzungen in Santa Clara, als ihn sogleich die spanische EU-Kommissarin in aller Öffentlichkeit den baldigen Tod wünschte. Und ein hoher Beamter des USA-Außenministeriums kaltschnäuzig salbaderte: »Wir warten seit Jahren auf Castros Sturz, aber so hätten wir uns das nicht vorgestellt.« Zur selben Zeit, da einige Helden des südamerikanischen Befreiungskampfes zu mehr oder minder überzeugenden Hollywooder Filmhelden mutieren, meldet sich Aleida Guevara, die dreiundvierzigjährige Tochter Ches, mit ganz anderen als cineastischen Gedanken und Bedenken zu Wort. Sie wurde erst zehn Jahre nach jener legendären »Reise des jungen Che« durch den südlichen Kontinent geboren, von der er selbst sagte, dass dieses Durchqueren des »riesigen Amerika« ihn viel stärker verändert habe, als er zuerst geglaubt habe. »Ich wußte in dem Moment, da der große Spiritus rector den gewaltigen Schnitt macht, der die gesamte Menschheit in nur zwei antagonistische Parteien teilt, werde ich mit dem Volk sein«, schrieb er auf den letzten Seiten seines Reisetagebuchs.

Aleida Guevara äußerte sich jetzt über die zunehmende Bedrohung des kubanischen Volkes durch das Bush-Amerika. Überall in Florida gebe es Schilder, Plakate und Autoaufkleber mit der Losung: »Heute Irak und morgen Kuba!« Kaum ein Tag vergehe, wo nicht Politiker und der Gouverneur Floridas selbst zum Sturz des Castro-Systems aufrufen würden. Eine »Kommission zur Unterstützung eines freien Kuba« sei gegründet worden, Millionen Dollars stünden dafür und besonders für Radio- und Fernsehpropaganda zur Verfügung. »Wenn die Drohungen nicht so ernst wären, würde ich sie einfach komisch finden«, erklärte Ches Tochter auf einer Reise in London. Vielleicht hatte sie dort gerade den beschwingten »Motorcycle Diaries«-Film über ihren jugendlichen Vater gesehen, immerhin finanziert und inspiriert von derzeitigen US-Amerikanern, möglicherweise sogar von solchen aus Florida.

Ein guter, kluger Freund sagte mir, als wir darüber sprachen und rätselten: »In dieser Welt macht man trotz alledem manche gute Sache und gewiß auch manch guten Film nur wegen Geld – wie alles Schlechte auch.« Die neuesten Nachrichten aus Havanna scheinen dem nicht zu widersprechen.

Eberhard Panitz schrieb u.a. Erzählungen über die kubanische Revolution: »Cristobal und die Insel«, die »Tamara-Bunke«-Biografie und »Comandante Che« (Spotless Verlag), zuletzt »Cuba mi amor« (Edition Ost, noch lieferbar).


http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=61977&IDC=4

Moskito


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