Die Kunst der Langsamkeit

11.09.2008 15:52
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#1 Die Kunst der Langsamkeit
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Rey/Reina del Foro

Die Kunst der Langsamkeit

Kuba wartet. Auf den Überlandbus, auf die Pferdekutsche. Es wartet ein ganzes Volk mit grenzenloser Geduld jeden Tag erneut darauf, mitgenommen zu werden. Zur Arbeit in die nächste Stadt – oder in ein anderes Leben. Eine Reise über die Insel, Teil eins

Eine Erklärung wird verlesen, im Fernsehen, am Sonntagabend, von Fidel Castro verfasst. Das Land befinde sich in einer Art „Kriegszustand“, hören die Zuschauer, Hurrikan „Ike“ naht. Kriegszustand also, doch Kuba ist gewappnet, fast eine Million Menschen sind in Sicherheit gebracht worden.

Nach allem, was man weiß, ging die Naturkatastrophe glimpflich aus, und Kuba wird rasch zurückkehren zum normalen Leben. Zum Leben im Wartestand, im Gestern, das nur begreift, wer sich genau dorthin aufmacht.


Der Weg in die Vergangenheit ist morastig und voller Schlaglöcher. Juan Socorro, ein hagerer Alter mit einem grauem Vollbart im sonnenverbrannten Gesicht, der am Ortsrand von Birán steht und die Richtung weist, kannte sie noch alle, die neun Castro-Kinder und deren Eltern. Das aus dem spanischen Galicien stammende Familienoberhaupt Ángel Castro, dem einst die ganze Gegend gehörte, ist legendär hier im wilden Osten Kubas, kaum weniger legendär als dessen Söhne Fidel und Raúl. „Ich bin über alle Maßen stolz darauf, dass ich das Glück hatte, für ihn arbeiten zu dürfen“, nuschelt der Alte. Von den Söhnen weiß er
zu erzählen: „Sie sind zwar Brüder. Aber sie waren sehr unterschiedlich. Raúl war viel hitzköpfiger als Fidel. Der dagegen war berechnender, politischer als Raúl.“ Das habe sich auch an ihren Interessen gezeigt: „Fidel spielte gern Ball. Raúl dagegen liebte den Hahnenkampf.“

Wo alles anfing, ist vieles noch so wie früher. Die Erdstraße zu dem abgelegenen Dorf zu Füßen der Sierra Cristal führt durch endlose, im Sonnenlicht silbrig-grün changierende Zuckerrohrfelder. Die alte Hahnenkampfarena, die der inzwischen 77-jährige Raúl Castro als Junge so liebte, steht immer noch auf dem Gelände der Hacienda. Heute ist der Gutshof ein Freilichtmuseum. Antonio López, der „Historiador“, der Geschichtsschreiber dieses Ortes, berichtet, 1995 habe man hier ein Familienmausoleum errichtet und die Eltern des Comandante beigesetzt. Ob Fidel hier ebenfalls bald seine letzte Ruhe finden wird? „Niemand weiß das“, antwortet López. Persönlich vorstellen könne er es sich durchaus. Aber vielleicht wünsche sich das kubanische Volk auch, Fidel nach dessen Tod einzubalsamieren und den Menschen Gelegenheit zu geben, an seiner Bahre vorüberzudefilieren. „So wie man es bei anderen großen Führern wie Lenin, Ho Chi Minh, Tito oder Mao gemacht hat.“

Seit der 82-Jährige Ende Juli 2006 sterbenskrank die Amtsgeschäfte an den fünf Jahre jüngeren Raúl abtrat, lebt Kuba mit dem nahen Ende des Caudillo. Doch der lässt sich mit dem Sterben Zeit. Immer wenn er länger nicht zu sehen gewesen war und die Exilkubaner in Miami das Gerücht streuten, er ruhe bereits in der Kühlkammer, zelebrierte er im Fernsehen abgemagert im nationalfarbenen rot-weiß-blauen Adidas-Trainingsanzug seine Wiederauferstehung. Zäh scheint er entschlossen, nicht nur das Ende der Ära Bush in Washington zu überleben, sondern auch den 50. Jahrestag des Sieges seiner Revolution am 1. Januar 2009 zu erleben. Die Bilder wirken wie letzte Momentaufnahmen aus dem Jenseits einer abgeschlossenen Epoche. Doch die Propagandisten der Revolution wollen auf diese Weise die Unsterblichkeit des Revolutionsführers suggerieren. Es soll den Kubanern die Angst vor der Zukunft nehmen.

Die sind derweil mehr denn je damit beschäftigt, mit ihrem Leben in der Gegenwart zurechtzukommen. Als zwischen Moa und Mayarí im Nordosten eine junge Informatikstudentin in den Wagen steigt, ist sie dem Weinen nahe. Acht Stunden, erzählt sie, seit sechs Uhr morgens, habe sie an der Landstraße nahe dem Haus ihres Vaters gestanden, damit sie jemand mitnehme nach Holguin, wo sie lebt. Morgen habe sie eine wichtige Prüfung. Dabei hat sie ihre guten Sachen angezogen und sieht hübsch aus. Dass trotzdem niemand angehalten hatte, lag wohl daran, dass sie den Vorbeifahrenden nicht mit Pesoscheinen zugewinkt hat.

„Ich wünsche mir so, dass der öffentliche Transport endlich besser wird und es wirtschaftlich aufwärts geht“, sagt sie geradezu flehentlich. Sie träume davon, eines Tages Informatikerin zu sein. „Damit ich dann ein ganz normales Leben führen kann. Nada mas.“ Sonst nichts.

Kuba wartet. Auf den ...

http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die-D...;art705,2611805


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11.09.2008 16:00
#2 RE: Die Kunst der Langsamkeit
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spitzen Mitglied

Interessant.
Doch deswegen gehen doch die Touristen nach Kuba, oder?
Man will diesen cubanismo erleben!
Dies hat vor ca. 12 Jahren im grossen Stiel angefangen und man könnte touristisch noch soooo viel bewegen.


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