Der Comandante und seine Deserteure

31.07.2007 11:13
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Cubaliebhaber/in





Ressort: Sport
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Datum und Zeit: 31.07.2007 - 11:10


30.07.2007 09:08 Uhr

Freund des Sports: Fidel CastroFoto: AFP Flucht namhafter Sportler
Der Comandante und seine Deserteure
Kuba lässt seine Delegation bei den Panamerikanischen Spielen überstürzt abreisen - angeblich wollten weitere Sportler flüchten.
Von Javier Cáceres

Das Faible des Fidel Castro für den Sport ist schon länger bekannt. Doch dass die "Reflexionen" - die seit März erscheinenden Kolumnen des kranken, greisen Chefrevolutionärs von Kuba - zuletzt um die am Sonntag beendeten Panamerikanischen Spiele in Rio de Janeiro kreisten und also die Sportseiten der Parteiblätter Kubas schmückten, hat manchen Beobachter durchaus überrascht. Anfangs war noch so etwas wie kindliche Begeisterung des 80-Jährigen herauszulesen; in seinem Enthusiasmus über die Erfolge der kubanischen Delegation vergesse er bisweilen, pünktlich zu essen oder die Pillen einzuwerfen, schrieb der máximo líder, der wegen der Folgen einer lebensbedrohlichen Erkrankung seit dem 26. Juli 2006 nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sehen war. Seit einer Woche jedoch hat sich die Laune des Comandante verschlechtert. Er wettert gegen "den abstoßenden An- und Verkauf‘‘ von Sportlern. Der Grund: die "Desertation‘‘, also Fahnenflucht von namhaften Sportlern, wie die Flucht in der offiziellen Sprachregelung des kommunistischen Eilands heißt. Mindestens vier Delegationsmitglieder nahmen in Rio die Gelegenheit wahr, abzutauchen: Hasta siempre, comandante. Auf immer, Fidel.

"Der Raub von Talenten"

Dass unter den Abtrünnigen auch die Faustkämpfer Guillermo Rigondeaux und Erislandy Lara waren, nahm Castro besonders persönlich. "Söldner", rief Castro den beiden Kämpfern hinterher, weil sie sich lieber von einer "deutschen Box-Mafia" aushalten ließen, statt den Prinzipien der Revolution treu zu bleiben. Dies illustriert vor allem, wie sehr der kubanische Sport in seinem Nerv getroffen wurde. Denn: Die Box-Weltmacht Kuba steht nunmehr ohne einen einzigen aktiven Box-Olympiasieger da. Schon im Dezember hatten sich die Goldmedaillengewinner Odlanier Solis (Schwergewicht), Yan Barthelmy (Super-Bantam) und Yuriorkis Gamboa (Leicht) abgesetzt. Sie wurden - wie nun auch Rigondeaux und Lara - von dem Mitte 2006 gegründeten Hamburger Boxstall Arena von Ahmed Öner verpflichtet. "Was ist aus technologischer und wirtschaftlicher Sicht das größte Problem der armen Länder? Der Raub von Gehirnen. Was aus patriotischer und erzieherischer Sicht? Der Raub von Talenten", schrieb Fidel.


Wie für viele totalitäre Regime ist der Sport auch für das kubanische ein Aushängeschild und Propagandainstrument, im Falle der Antillen-Insel besonders erfolgreich dazu. Kein anderes Dritte-Welt-Land, schon gar kein lateinamerikanisches, hat so viele Erfolge vorzuweisen wie Kuba. Der abtrünnige Rigondeaux (26 Jahre/54 Kilogramm) sollte zur neuen Ikone des verblassenden Mythos namens revolución werden. Denn der grandiose Stilist sollte die legendären Schwergewichtler Teofilo Stevenson und Félix Savón nicht nur in der Medaillenstatistik übertreffen - neben dem Ungarn Laszlo Papp sind es die einzigen Boxer der Geschichte mit drei Olympiasiegen. Rigondeaux sollte ihnen auch ideell nachfolgen. "Was ist schon eine Million Dollar gegen die Herzen von elf Millionen Kubanern?", hatte Stevenson in den siebziger Jahren entgegnet, als ihm ein Profi-Kampf gegen Muhammad Ali versüßt werden sollte. Doch die Lebensbedingungen auf der Insel sind inzwischen so prekär, dass Raúl Castro, Fidels jüngerer Bruder und zurzeit provisorischer Staatschef, am Donnerstag höchstpersönlich die Versorgungsengpässe anprangerte. Da ist es nur mäßig überraschend, dass Rigondeaux nun die Greenbacks der US-Notenbank dem Olivgrün der kubanischen Revolution vorzog.

Dass dies geschah, hat die Kubaner erkennbar nervös gemacht. Schon seit Beginn der Panamericanos, einer Art Olympischen Spiele des amerikanischen Kontinents, hatte Kuba von der Möglichkeit, Athleten rasch wieder in die Heimat zu fliegen, ausgiebig Gebrauch gemacht. Am Samstag aber hieß es auch unter dem Eindruck der Flucht von Rigondeaux für fast den ganzen verbliebenen Rest der Mannschaft: "¡Pa’casa, chico!" - ab nach Hause! Wie schon bei den Spielen von Winnipeg/Kanada von 1999, als Kuba ein Dutzend "Deserteure" und den Dopingfall von Hochsprung-Olympiasieger Javier Sotomayor beklagte, wurde der Großteil der verbliebenen Delegation vorzeitig abgezogen - Gerüchte um zwei neue Fälle von ,,Desertation‘‘ hatten da längst die Runde gemacht. 200 Sportler wurden in sechs Bussen zum Flughafen in Rio gefahren; die Volleyballer nahmen nicht einmal an der Medaillenzeremonie teil, wo sie eigentlich eine Bronzeplakette in Empfang nehmen sollten. Da half ihnen nichts mehr, dass auch sie den Offenen Brief an den "lieben Oberbefehlshaber (Fidel)", den "lieben Raúl" und das "liebe kubanische Volk" unterzeichnet hatten, in dem sie über jene "Fehlgeburten" herzogen, "die sich, vom Sirenengesang geleitet, entschließen, das Volk zu verraten, das sie geschmiedet und einst seine Hoffnung in sie gesetzt hat". Die Namen von Solis, Barthelmy, Gamboa, Rigondeaux und Lara wurden nicht einmal mehr erwähnt.

Zwei Millionen für zwei Boxer

Darüber, wie deren Fluchtpläne geschmiedet und umgesetzt wurden, hält sich der Nachrichten-Junkie Fidel Castro vorrangig über den spanischsprachigen Dienst der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf dem laufenden. Seine letzte Kolumne, die er um 18.35 Uhr am 27. Juli fertiggestellte, war in der Hauptsache eine Zusammenstellung von dpa-Meldungen, die seines Erachtens zeigten, "wie das beschämende Geschäft des An- und Verkaufs von Boxern funktioniert" - und wie Promoter wie Öner damit prahlen. Am Sonntag konnte Fidel dort auch nachlesen, dass Öner in einem deutschen Sonntagsblatt sogar das Volumen der Arena-Investition in die kubanischen Talente genannt hatte: insgesamt zwei Millionen Euro, "das ist der Preis für solche Top-Athleten‘‘, sagte Öner. Seinen Artikel vom Freitag schloss Fidel mit einem trotzigen Gruß: "Wir haben trotzdem 44 Goldmedaillen.‘‘ Am Sonntag waren es bereits 58.

(SZ vom 30.7.2007)


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José Ortega y Gasset: "Ser de izquierdas, como ser de derechas, es una de las infinitas maneras que el hombre puede elegir para ser un imbécil; ambas, en efecto, son formas de hemiplejia moral".


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