"Widerstand ist nie hübsch"

02.12.2006 09:29
avatar  Moskito
#1 "Widerstand ist nie hübsch"
avatar
Rey/Reina del Foro

In Antwort auf:
"Widerstand ist nie hübsch"

Tariq Ali über die linke Hoffnungszone Lateinamerika, Hugo Chávez' Geistesverwandtschaft mit Willy Brandt, den Aufstieg des Islamismus und die Wandlung mancher seiner Ex-Weggefährten zu Stichwortgebern des Imperialismus

taz: Herr Ali, Lateinamerika ist neuerdings wieder Hoffnungszone der Linken: Es gibt Hugo Chávez in Venezuela, Evo Morales in Bolivien. Gibt es einen neuen antiimperialistischen Moment?


Tariq Ali: Die Lateinamerikaner nennen es einen neuen bolivarischen Moment. Simon Bolivar hat diesen Kontinent vor zweihundert Jahren geeint und das spanische Imperium zurückgedrängt. Nun geschieht Ähnliches, demokratisch, ohne Krieg, ohne Schlachten: Das Imperium, das die Spanier ablöste, wird zurückgedrängt.

Also die USA?

Das ist das Ziel, ja. Ein ganzer Kontinent gerät in Bewegung. Das vielleicht Wichtigste daran: Es ist ein Kontrast zu dem Chaos im Nahen Osten. Dort - in Afghanistan, im Irak, im Libanon, in Palästina - kämpft der Widerstand, damit die Besatzer das Land verlassen. Das ist fein, aber eine soziale Vision hat dieser Widerstand nicht. In Lateinamerika dagegen ersteht die soziale Vision wieder.

Was ist das für eine soziale Vision?

Zugegeben, sie ist moderat. Wir sollten nicht übertreiben. Es ist die Vision, die historisch die Vision einer linken Sozialdemokratie war. Chávez, Morales, Ortega gehen darüber nicht hinaus. Sie bekämpfen den Neoliberalismus mit klassischen sozialdemokratischen Mitteln. Nur: Heutzutage sind die inakzeptabel für die neoliberale Welt. Was in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg normal war, ist heute nicht mehr erlaubt.

Hugo Chávez gibt den Caudillo, den Revolutionsführer im Drillich- und Kuba ist ja auch nicht das Modell des demokratischen Sozialismus …

Was ist das Modell des demokratischen Sozialismus? Deutschland? Die EU? Es gibt kein vernünftiges Modell auf diesem Planeten, das die Hegemonie der USA herausfordert. Diese Herausforderung kommt allein aus Lateinamerika. Klar, das ist nicht Utopia. Lateinamerikas neue Führer versuchen, etwas Positives für die Armen zu tun, mit den beschränkten Mitteln, die sie zur Verfügung haben.

Vor autoritären Versuchungen haben Sie keine Angst?

Chávez wurde fünf Mal gewählt. Fünf Mal. Er respektiert die Opposition, die gesamte private Presse ist gegen ihn, aber er lässt sie gewähren. Ist das etwa autoritär?

Er sieht nur wie ein Caudillo aus?

Ich kenne ihn ziemlich gut, ich habe ihn oft getroffen. Er ist ein intelligenter Politiker. In Europa gab es in der Nachkriegszeit kluge Politiker: Harold Wilson, Olof Palme, Willy Brandt, Charles de Gaulle, Bruno Kreisky …

Chávez ist mit denen vergleichbar?

Er liest enorm viel, Romane, Sachbücher, Lyrik. Seine Eltern waren Lehrer, sie haben ihn die Liebe zu Büchern gelehrt. Gerade hat der venezolanische Staat Cervantes' Don Quichotte in millionenfacher Auflage gedruckt und jedem Haushalt zugestellt. Als man Chávez fragte, ob er wirklich glaube, dass die Leute das lesen, sagte er, er wisse es nicht, aber es befände sich zumindest ein Buch in dem Haus, und vielleicht liest es dann einmal ein Kind oder ein Enkelkind. Das ist bemerkenswert. Klar, er ist ein lateinamerikanischer Politiker. Er hat eine Reihe von deren Qualitäten und auch ein paar von deren Defekten. So ist das nun mal.

(........)

Sie waren ein großer Star der 68er-Linken. Viele ihrer damaligen Freunde sind heute moderate Linksliberale, manche sogar Neokonservative. Warum haben die einen so anderen Weg genommen als Sie?

Wann immer sich eine große Welle des Radikalismus bricht und die Konterrevolution gewinnt, streichen viele Leute die Segel und wechseln die Seiten. Das war nach der französischen Revolution so, das war nach 1848 so - das ist überhaupt nichts Überraschendes. Wenn ich manche Banker, Broker, Minister, die ich von früher kenne, auf der Straße treffe, gucken die ganz peinlich berührt.

Aber haben diese Exgenossen von Ihnen wirklich ihre Ideen verraten? Sie setzen sich für Menschenrechte und gegen Genozide ein und sind dafür, dass demokratische Staaten mit militärischer Gewalt blutige Diktatoren stürzen. Was ist so blöd daran?

Ach, dieses Gerede! Seit der Okkupation wurden mehr Iraker getötet als von Saddams Diktatur ermordet wurden. Bravo, eine tolle Art, den Genozid zu stoppen! Diese Idee, dass der Westen das Gute in die Welt exportiert, ist nicht neu: für gewöhnlich nennt man sie Imperialismus.

INTERVIEW: ROBERT MISIK

taz Nr. 8140 vom 1.12.2006, Seite 12, 239 Interview ROBERT MISIK

© Contrapress media GmbH
http://www.taz.de/pt/2006/12/01/a0167.1/text.ges,1



Moskito


 Antworten

 Beitrag melden
Seite 1 von 1 « Seite Seite »
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!