"Keiner lebt ewig"

21.04.2006 08:49
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#1 "Keiner lebt ewig"
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Rey/Reina del Foro

Fidel Castro wird bald 80. Allerorten laufen die Vorbereitungen für die Zeit nach dem Revolutionsführer - auch und besonders intensiv in den USA.


HAVANNA. Jorge hat die Koffer schon gepackt - zumindest in Gedanken. "Ich will so schnell wie möglich weg aus Kuba", sagt der 28-Jährige, der im Kaufhaus "La Época" im Zentrum von Alt-Havanna Elektrogeräte verkauft. Jorge hat den linken Arm lässig auf eine Stereoanlage von Philips gestützt und lächelt zynisch. "Schönes Ding", sagt er, während sein Blick über den Hi-Fi-Turm schweift. "Kostet 400 Euro. Bei meinem Gehalt kannst du das vergessen."

Umgerechnet zehn Euro verdient der gelernte Ingenieur pro Monat. Eine Stereoanlage ist da unerreichbarer Luxus. Dennoch hat Jorge noch Glück: Seine Mutter hat in der US-Lotterie ein Visum gewonnen. Jetzt hofft er, ebenfalls bald ausreisen und seiner Mutter folgen zu können.

Wenn die 18-jährige Studentin Marialys an die Zukunft denkt, verdüstert sich ihre Laune: "Das Höchste, was ich erreichen kann, ist ein Durchschnittsverdienst von umgerechnet 15 Euro pro Monat." Und das trotz guter Noten: "Ich bringe eine Eins nach der anderen nach Hause", sagt die zierliche Frau mit Flicken-Jeans und Pferdeschwanz.

Marialys studiert Betriebswirtschaft an der Universität von Havanna. Auf dem Campus, zwischen Lorbeerbäumen und Palmen, erzählt sie von ihrem Traum: "Ich will besser leben, mich gut anziehen und in andere Länder reisen."

Zwei junge Kubaner, die die kargen Lebensbedingungen des Sozialismus satt sind. Zwei Menschen, die sagen, was ihnen nicht passt, und ein Schlaglicht werfen auf die Stimmung im Lande. Noch vor einigen Jahren galt offene Kritik an Staatschef Fidel Castro als undenkbar, der mit seiner Machtübernahme 1959 die sozialen Ungleichheiten von der Insel gefegt hatte. Doch jetzt bröckelt das Ansehen der einstigen Polit-Ikone. Ausgerechnet zu seinem absehbaren Ende schwenkt das Pendel um.

Castro, der im August 80 wird, scheint den Druck von unten zu spüren. Im vergangenen November sprach der Caudillo erstmals über die Gefahr, dass sein historisches Erbe verspielt werden könnte: "Diese Revolution kann nur durch sich selbst zerstört werden, nicht durch die USA." Castro machte Front gegen "Laster" und "Raub" und warnte vor einer verdeckten Einführung des Kapitalismus. Eine Brandrede, die nachhallte.

Außenminister Felipe Pérez Roque brach im Dezember ein Tabu, als er erstmals öffentlich über die Zeit nach Castro nachdachte: "Wir müssen den Sieg der Revolution auch in Zukunft sicherstellen, wenn es ein Machtvakuum gibt." Roque wird als einer der Nachfolgekandidaten gehandelt.

Der Máximo Líder versucht die Auflösungserscheinungen des Tropen-Sozialismus noch aufzuhalten. Als Zielscheibe muss wieder einmal der Klassenfeind Amerika herhalten. So zeigen riesige Plakate, die quer über die ganze Insel verteilt sind, Amerika als Thema. Auf einem dieser Schilder sind unter der Überschrift "Plan Bush" zwei alte Menschen zu sehen, die sich umarmen. "Ihnen wird das Recht auf Freundschaft und den verdienten Ruhestand genommen", heißt es in dem Text. Ein Spiel mit der Angst. Es soll suggerieren, dass eine Übernahme des US-Systems in Vereinsamung und Armut mündet.

Die US-Regierung beobachtet die Lage aufmerksam. Hinter den Kulissen tüfteln Fachleute bereits fieberhaft an Szenarien für den Tag X. Seit Sommer 2005 gibt es im US-Außenministerium eigens eine Abteilung, die Pläne für die Zeit nach Castro schmiedet. "Die Zeit für den Wechsel ist gekommen", sagt Chef-Koordinator Caleb McCarry. Wenn es so weit ist, sollen die Amerikaner ein großes Hilfspaket nach Kuba schicken, schlägt McCarry vor. "Wir wollen den Kubanern großzügig und flexibel helfen." Solche Vorschläge fließen in ein Konzeptionspapier, das er im Mai der "Commission for Assistance to a Free Cuba", einem Regierungsgremium aus acht Ministern, vorlegen wird.

Darüber hinaus werde die US-Regierung technische Unterstützung anbieten, damit die Kubaner demokratische Wahlen organisieren können. Die Amerikaner könnten die Ausbildung von Wahlhelfern übernehmen, Wahlzettel drucken und sich um die Verfahren zur Registrierung der Wähler kümmern. Den Verdacht, dass Amerika diesem Prozess seinen Stempel aufdrücken wolle, wischt der Politiker vom Tisch: "Die Kubaner definieren ihre Zukunft selbst", sagt McCarry.

Wenn der Ministeriale über die "wachsende Demokratiebewegung" der Insel redet, bekommt er leuchtende Augen. "Die Kubaner bringen ihre Unzufriedenheit mit dem System immer offener zum Ausdruck."

Regimekritische Journalisten würden beispielsweise ihre Berichte zunehmend im Internet veröffentlichen. "Wenn die kubanische Regierung die Häuser von Dissidenten mit diskreditierenden Parolen besprüht, kommen später die Nachbarn zu Hilfe, um die Farbe wieder zu entfernen", erzählt er. Die Regierung in Washington tue alles, um Castro das Leben so schwer wie möglich zu machen. So habe eine Verschärfung des US-Wirtschaftsembargos 2004 das Regime bis dato mindestens 500 Millionen Dollar gekostet: Exilkubaner dürfen seitdem nicht mehr so häufig zu ihren Familien reisen wie früher. "Wir hoffen, dass die Befreiung Kubas vom Joch der Diktatur beschleunigt werden kann", erklärt McCarry.

Bereits heute haben die Kubaner Wege und Mittel gefunden, offizielle Verbote zu umgehen und sich auf ihre Weise dem Kapitalismus und seinen Errungenschaften zu nähern. Viele suchen und finden auf dem "Trueque", dem großen Tauschmarkt des Landes, was sie sonst nirgendwo bekommen. So verkaufen fleißige Facharbeiter, die von ihrer Firma ein Wochenende in einem Hotel spendiert bekommen, diesen Gutschein immer öfter gegen Devisen. Die Deals erfreuen sich großer Beliebtheit: Das Paket ermöglicht unter anderem freies Surfen im Internet, was die Einheimischen normalerweise gar nicht dürfen.

Auch Pedro, der im Hotel "Ingla-terra" in Havanna für die Sicherheit zuständig ist, gehört zu diesen Überlebenskünstlern. Der 39-Jährige hat sich kürzlich eine Satellitenschüssel unter dem Dach seines Hauses installieren lassen, was offiziell verboten ist.

"Wir haben die Angst vor dem System verloren", sagt Pedro. Für zehn Euro pro Monat können interessierte Nachbarn das Satelliten-TV ebenfalls nutzen. Amerikanische Fernsehprogramme sind bei Kubanern beliebt. Das liegt in erster Linie an den Touristen, die die weite Welt des Konsums, also bunte, schillernde Produkte, in das graue Einerlei des Castro-Regimes bringen und bei den Kubanern Wünsche entstehen lassen. Der Staat nimmt das in Kauf, da er ohne die Besucher aus Kanada, Deutschland, Italien oder Spanien aufgeschmissen wäre: So brachte der Tourismus dem Land im vergangenen Jahr 2,65 Milliarden Dollar an Bruttoeinnahmen, 12,2 Prozent mehr als 2004.

Im Schatten der neuen Begehrlichkeiten blüht die Prostitution wie nie zuvor. Auf dem Malecón, der Hafenpromenade Havannas, warten Julia und Yolanda auf Kundschaft. Beide sind Anfang 20 und tragen teure französische Jeans und italienische Sandaletten. "Wir haben das beste Leben, obwohl wir weder malochen noch auf die Universität gehen", prahlt Julia. Die zwei Frauen haben sich in einem "Casa Particular", einer Privatunterkunft, eingemietet, die knapp zwei Euro pro Person und Nacht kostet. Ein Freier muss für ein Schäferstündchen 40 bis 60 Euro hinblättern - für kubanische Verhältnisse bleibt da eine atemberaubende Gewinnspanne.

Zwar schimpft Castro auf das "tödliche Krebsgeschwür der Korruption", doch seine Tiraden wirken hilflos. Jetzt hat er 8 000 kommunistische Partei-Aktivisten, darunter 2 000 Rentner, verpflichtet, um potenziellen Mauschlern auf die Finger zu schauen.


Viele Ältere, die die Zeit vor der Revolution miterlebt haben, sehen gerade in der zunehmenden Prostitution eine Verlotterung der Sitten. "Die jungen Mädchen, die sich an die Touristen hängen, sollten lieber ordentlich arbeiten", klagt die 76-jährige María Josefa. Die ehemalige Plantagenpflückerin steht ohne Wenn und Aber hinter dem Regime: "Dank Fidel haben wir schwierige Zeiten wie die Handelsblockade der Amerikaner und den Rückzug der Russen überstanden."

Auch der Rentner Rolando Oviedo ist voll des Lobes für Castro. "Früher habe ich zeitweise in Mexiko geboxt, um über die Runden zu kommen", sagt der 80-Jährige, der vor der Revolution für eine amerikanische Bootsfirma gearbeitet hatte. Heute verkauft Rolando auf den Straßen Havannas das Parteiblatt "Granma". Der Ex-Soldat erhält eine Rente von umgerechnet sechs Euro pro Monat. Außerdem zahlt ihm der Staat eine kleine Wohnung mit Fernseher und Ventilator. Kürzlich sei ihm an beiden Augen der graue Star entfernt und ein neues Kniegelenk eingesetzt worden, meint Rolando: "Ich habe keinen Peso bezahlt. Wo gibt´s denn heute so was noch?"

Doch auch unter den Älteren dämmert die Erkenntnis, dass bald eine Epoche endet. Der 61-jährige Taxifahrer Ramón bringt es auf den Punkt: "Fidel ist einzigartig. Aber das Ende naht - keiner lebt ewig."

Quelle:http://zeus.zeit.de/hb/1143434.xml

Nos vemos
Dirk
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21.04.2006 09:17
avatar  sarchi
#2 RE: "Keiner lebt ewig"
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Forenliebhaber/in

Die armen Cubis
Die ahnen nicht einmal was auf
sie zu kommt.
von den amis alles brauchbare genommen
und bekommen dafür wahlzettel
http://www079.gmx.net/de/cgi/derefer?TYPE=1&DEST=http%3A%2F%2Fwww%2Ebilder%2Dhochladen%2Enet%2Ffiles%2F3ko%2D2%2Djpg%2Ehtml


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21.04.2006 14:04 (zuletzt bearbeitet: 21.04.2006 14:05)
#3 RE: "Keiner lebt ewig"
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Rey/Reina del Foro
In Antwort auf:
warten Julia und Yolanda auf Kundschaft. Beide sind Anfang 20 und tragen teure französische Jeans und italienische Sandaletten. "Wir haben das beste Leben, obwohl wir weder malochen noch auf die Universität gehen", prahlt Julia. .....Ein Freier muss für ein Schäferstündchen 40 bis 60 Euro hinblättern - für kubanische Verhältnisse bleibt da eine atemberaubende Gewinnspanne.

Der Freier "muß" überhaupt nicht. Wer das bezahlt, weil er keine anderen findet, ist selber schuld.

Solche Hochpreishuren können sich dann auch warm anziehen, wenn die Prostitution erst mal im Würgegriff der Mafia ist.


e-l-a
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Alles unter Privatreisen-Cuba.de
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Mailservie: E-Mails nach Kuba, auch wenn der Empfänger dort kein Internet hat.
Kubainfos: Aktuelles und Wissenswertes für Reisende von A bis Z


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21.04.2006 14:09 (zuletzt bearbeitet: 21.04.2006 14:10)
#4 RE: "Keiner lebt ewig"
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Rey/Reina del Foro
Zitat von el loco alemán
Solche Hochpreishuren können sich dann auch warm anziehen, wenn die Prostitution erst mal im Würgegriff der Mafia ist.

Stimmt, dann sind alle Huren so teuer. Nur das Geld landet nicht mehr bei denen, sondern eben bei der Mafia. Deshalb finde ich den Grinse-Smiley völlig unangebracht.
___________________________________
La distancia no es la causa para que nazca el olvido.

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21.04.2006 15:00
#5 RE: "Keiner lebt ewig"
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Rey/Reina del Foro

Der war den großkotzigen Hochpreisigen schon mal im Voraus als Schadenfreude gewidmet. Aber hast schon recht, die haben dann nichts mehr zu lachen. Deshalb sollten sie gerade jetzt die Revolution in ihrem ganz eigenen Interesse verteidigen.

Doch vermutlich sind dieserart Weiber viel zu blöd, um solche Zusammenhänge überhaupt zu kapieren. Erst wenns zu spät ist.

e-l-a
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21.04.2006 16:54 (zuletzt bearbeitet: 21.04.2006 17:15)
avatar  Chaval
#6 RE: "Keiner lebt ewig"
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Rey/Reina del Foro
Zitat von el loco alemán
Deshalb sollten sie gerade jetzt die Revolution in ihrem ganz eigenen Interesse verteidigen.

Nicht nur die (Hochpreis-) Nutten, sondern viele andere Kubaner auch!!
Aber auch da ist oft zu bezweifeln, ob sie die Zusammenhänge voll durchschauen!

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21.04.2006 17:19
avatar  ( Gast )
#7 RE: "Keiner lebt ewig"
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( Gast )

In Antwort auf:
Der Freier "muß" überhaupt nicht. Wer das bezahlt, weil er keine anderen findet, ist selber schuld

Nicht alle Nutten sind halt mit kleinen Geschenken zufrieden. Soweit ich informiert bin, sind die Preise für diese "Dienstleistung" auch in Deutschland sehr unterschiedlich. Da gibt es den Straßenstrich..... und das Edelpuff.....


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22.04.2006 02:06
avatar  Jorge2
#8 RE: "Keiner lebt ewig"
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Rey/Reina del Foro

Fidel verlangt einen ganz anderen "Preis" - nämlich den, der persönlichen Freiheit!
Und die Ausprägung - wie in der ehemaligen DDR - ist eben die Erkenntnis: Raus aus diesem Dilirium!
Kommunismus nach Marx und Engels und abgewandelt der Sozialismus - warum nicht - nur hat man es nie richtig hinbekommen, weil man zur Realisierung immer den Staat (das Volk) bevormundet hat.
Und das geht irgendwann in die Hose!

Na ja, lassen wir es - diese Debatte führt sowieso zu Nichts!

Ich jedenfalls kenne zig Mädels in Cuba, die sofort mit mir flüchten würden!

OK, wenn ich bezahle!


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