Zwangsdiät für Havannas
von Hans Berwesdorff

Manche Vorurteile bei Zigarren sind unauslöschbar. Etwa, wenn es um die Mär der leichten Zigarren im hellen Kleid geht. Oder darum, daß die Asche einer perfekten Zigarre strahlend weiß zu sein hat. Selbst langjährige Aficionados erzählen immer wieder derartigen Unsinn. Nicht selten höre ich dann auch den ultimativen Zigarren-Horror-Satz: "Die zieht schön leicht."

Eben den hört man in letzter Zeit immer öfter und dafür sorgt ausgerechnet die Königin der Zigarren: die Havanna. Lange Zeit habe ich mich geweigert, diesen Trend ernst zu nehmen - kubatypische Schwankungen. Doch mit jeder neuen Havanna bestätigt sich: Kubas Zigarren ziehen immer leichter. Waren es vor Jahresfrist noch vor allem Havannas mit großem Ringmaß, so findet man sie jetzt überall.

Als ich kürzlich bei einer Feier einige Cohiba Siglo VI verteilte, zerplatzten auch meine letzten Havanna-Ideale. Jede einzelne hatte ich mir persönlich beim Händler aus der Kiste gepickt und nach eingehender Prüfung gekauft. Doch trotz perfekt öligem Deckblatt und bestandener Riechprobe hatte ich ein wichtiges Indiz übersehen: Die Zigarren waren etwas zu leicht.

Angeschnitten offenbarte sich das ganze Drama. Alle Siglo VI hatten so gut wie keinen Zugwiderstand. Ebenso erschreckend war, daß ich wieder den schon erwähnten grauenvollen Satz hören mußte: "Zieht schön leicht ..." Keiner der Herren störte sich daran, daß diese Zigarren rein gar nichts mit den klassischen Werten einer Siglo VI gemein hatten - komplex, kraftvoll, ausgewogen. Die Tugenden einer echten Luxuszigarre. Statt dessen heiße Luft. Nix Giga-Genuß, sondern Gaumen-GAU.

So edel die verwendeten Blätter auch sein mögen - es sind zu wenige. Durch den widerstandslosen Zug werden unangenehm hohe Temperaturen erzeugt. Es entsteht zuviel Rauch. Die Aromen verdampfen, ehe sie die Geschmacksnerven erreichen. Zudem läßt sich die Zigarre kaum dosieren. Sie brennt leichter schief, hohl und geht schneller aus. Außerdem gilt: je weniger Blattgut im Wickel, desto unausgewogener ist die Mischung.

Erinnern Sie sich? Noch vor drei Jahren waren die Havannas so fest gerollt, daß jeder Zug Schwerstarbeit war. Warum produzieren die Kubaner jetzt "magersüchtige" Zigarren? Die weltweit massiven Proteste wegen schlecht ziehender Havannas haben die Bosse auf Kuba so verunsichert, daß sie jetzt sogar schlanke Formate wie die Lonsdale auf Diät gesetzt haben. Als ich mir kürzlich eine Montecristo No 1 anzündete, blies ich aus alter Gewohnheit auf die Glut. Daraufhin rauchte das Mundstück. Einen besseren Beweis für eine miserable Havanna gibt es kaum.

Hauptursache für die "Schwindsucht" dürfte ein technisches Hilfsmittel sein, das eigentlich für optimal ziehende Havannas mit perfektem Widerstand sorgen sollte: die Zugprüfmaschine. Der Wickel wird einem Widerstandstest unterzogen. Beachtet wird stets der obere Grenzwert, der untere wird anscheinend völlig vergessen. So kommt es, daß neue Kreationen wie die Petit Robusto von Hoyo de Monterrey von Anfang an auf Durchzug getrimmt sind. Geschmacklich bieten sie dadurch kaum etwas, aber das scheint der Masse der Käufer egal zu sein. Früher wußte der Torcedor aus Erfahrung, wieviel Tabak für eine ordentliche Einlage notwendig ist. Heute bestimmt die Maschine.

Artikel erschienen am 28. November 2004

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