Ein kubanischer Goethe-Ratgeber

10.07.2007 17:37
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#1 Ein kubanischer Goethe-Ratgeber
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Ein kubanischer Goethe-Ratgeber
Zu Manuel de la C. García Paz´ "Goethe. In zwei Zeiten"




Als Che Guevara in seiner Arbeit "Über Literatur und Kunst" in Goethes Faust die "vielseitige Genialität" des Dichters ausmachte: als Wissenschaftler, Staatsmann und anderem, konnte er nicht ahnen, dass 40 Jahre nach seinem Tod ein begeisterter Anhänger seiner Ideen, der Kubaner Manuel García (geboren 1960), mit Che Guevaras Blick Goethes Werk zu lesen versucht. Er wurde davon gleichermaßen begeistert und angeregt. Er suchte und fand gültige Sentenzen für die Gegenwart im Zeichen Ches und Goethes, die er ins Spanische übersetzte und nachdichtete. Es entstand ein Brevier hoher Geistigkeit und ein Ratgeber für den revolutionären Alltag, aus dem "Gegensatz zweier Zeiten" wurde die ungewöhnliche Lesart Goethe´scher Dichtung durch einen Enthusiasten.
Es wurden Maximen, Aphorismen, Strophen und Auszüge aus größeren Dichtungen, aber auch Briefen ausgewählt und übersetzt; dabei ging es nicht um Inhalte und Handlungen, sondern immer um Sentenzen und Maximen: Handlungsangebote und Verhaltensempfehlungen für den heutigen Menschen. In einem Brief an seine Lehrerin schrieb Manuel Garcia über die geistigen Grundlagen des Buches: "Vor allem aber hat mich der Geist Che Guevaras bei der Auswahl jeder Sentenz stets begleitet."
Die Texte werden zweisprachig geboten. Besonders bei den Versen sind es, wie besonders der Rhythmus deutlich macht, Nachdichtungen, keine bloßen Übersetzungen. Manuel García arbeitet als Dolmetscher, Übersetzer und Reiseleiter; er ist ein Dichter, der seit seiner Jugend "Espinelas" schreibt, eine auf Kuba übliche Dichtungsform, die "Bauernstanzen". Sein weltumfassendes Temperament hat ihn bei der Auswahl und der Übersetzung geleitet, obwohl die Kapiteleinteilung nach den Regeln eines Almanachs gegliedert ist: Es finden sich Abschnitte wie "Von der Bescheidenheit" oder "Von der Mutter Natur". Natürlich gibt es den Abschnitt "Von der Liebe"; es finden sich aber nicht Goethes "Römische Elegien" mit ihren kräftigen erotischen Bildern, sondern Sentenzen aus dem verinnerlichten und feinfühligen "West-östlichen Divan" und den "Wahlverwandtschaften". Die Anlage des Buches erinnert an die Musenalmanache der Klassik.


Manuel de la C. García Paz

Manuel García hat die Akzente auf den rationalen und belehrenden Goethe gelegt, nicht auf den sinnlichen und gefühlvollen. Das mag dem nachdenklichen Leser ungewohnt erscheinen; der begeisterte Kubaner zwang sich aber so zu Konzentrationspunkten, um die er seine Leidenschaften anordnen konnte: "... mit diesem Werk lernt man denken und leben." Das mag für den deutschen Leser ungewohnt sein, kommt aber der Absicht entgegen, Goethe in einem anderen Kulturkreis bekannt zu machen und ihm ein politisches Umfeld in Lateinamerika zu eröffnen: "Diese niederschmetternde Epoche von heute verlangt wie nie zuvor nach den Lehren von Universaldenkern mit der Grandezza Goethes."
Daraus entstanden einige Verkürzungen, auch manche Ungenauigkeiten, die ein eingeweihter Leser ohne Mühe füllen oder korrigieren kann, die dem uneingeweihten nicht schaden: Nicht erst durch die Freundschaft mit dem Herzog entstanden Goethes "erste literarische Leistungen" und "Alles in der Welt lässt sich ertragen, / Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen" stammt aus "Sprichwörtlich". Wo es auf die Maxime ankommt, wird die Herkunft zweitrangig.
Gewidmet ist das Buch einerseits seiner ersten Deutschlehrerin Lucia Igel, die die Fundamente zu diesem Buch gelegt hat, als der Dichter zu DDR-Zeiten in Eisenach in der Autoindustrie arbeitete. Die Widmung weist auf eine deutsch-kubanische Freundschaft hin, der die Wende nichts anhaben konnte. Andererseits widmete der Autor das Buch seiner Tochter Janine, die er nach Deutschland schickte, um deutsche Sprache und Literatur zu studieren und um jene Freunde zu treffen, die sein Studium in der DDR begleiteten, eben auch Lucia Igel. Das Buch ist Ergebnis einer langen Freundschaft mit deutschen Sozialisten - mit Lucia und Bernhard Igel - und nicht zuletzt Ausdruck einer geistigen Haltung, die verständlich macht, warum sich das sozialistische Kuba in allen Versuchen behauptet hat, in denen man es vernichten wollte. Manuel García ist ein begeisterter Revolutionär, ein leidenschaftlicher Anhänger Fidel Castros und Che Guevaras, des "Heiligen Ernesto von La Higuera", der ihm zum Vorbild wurde, weil er während seiner Kämpfe ein Buch Goethes bei sich getragen habe, aus dem er Anregungen schöpfte. Das hat Manuel García als Vermächtnis begriffen und gab seinen Zeitgenossen nun ein ähnliches Buch an die Hand, das den deutschen Goethe-Freunden eine ungewohnte Goethe-Anthologie präsentiert: ein "Büchlein als Ratgeber und Ethikbildner, vor allem für Kinder und Jugendliche, für Erwachsene, für Künstler und Dichter". Als das Buch vor wenigen Wochen im Lehrstuhl Humboldt an der Universität in Havanna vorgestellt wurde, wurde das zur großen Demonstration einer aus DDR-Zeit stammenden großen Freundschaft, die immer neue Mitglieder gefunden hat und findet.
Rüdiger Bernhardt

Manuel de la C. García Paz:
Goethe. En dos tiempos. In zwei Zeiten.

http://www.inzweizeiten.de/
Verlag: k.A.
ISBN: 3833493704
Erscheinungsjahr: 2007
14,95 Euro

Quelle: AG-Kuba-Solidarität der DKP


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