Kuba: Politische Prognose für morgen und übermorgen

26.11.2006 18:05
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#1 Kuba: Politische Prognose für morgen und übermorgen
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Analysen und Kommentare
Kuba: Politische Prognose für morgen und übermorgen
16:01 | 24/ 11/ 2006

Kleine Insel: Was nun? Welche Schwierigkeiten erwarten Kuba in der baldigen Übergangsperiode, nach Fidels Abgang?

MOSKAU, 24. November (Pjotr Romanow, RIA Novosti). Jede politische Prognose gleicht der Wetter- oder Erdbebenvorhersage: Zu prophezeien, was in ein paar Jahren geschehen wird, fällt immer leichter als zu sagen, wie der nächste Morgen aussehen wird. Deshalb erheben meine weiteren Ausführungen selbstverständlich keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit. Das sind lediglich Erwägungen darüber, was mit Kuba nach Fidel Castros endgültigem Abgang von der politischen Bühne geschieht.

Erst vor kurzem habe ich bei meinem Besuch in Havanna unzählige Prognosen gehört, und jede davon war auf ihre Art glaubwürdig und zugleich anfechtbar. Charakteristisch ist jedoch, dass nur einer von meinen Gesprächspartnern behauptete, nach Fidel Castros Abgang werde auf Kuba nichts Wesentliches passieren. "Raúl hat seine Burschen von der Armee bereits buchstäblich überall eingesetzt, darunter auch auf den Schlüsselposten in der Wirtschaft, so dass alles ruhig und", wie mein Gegenüber scherzte, "gottgefällig verlaufen wird."

Übrigens lässt sich aus denselben Worten nach Wunsch auch ein direkt entgegengesetzter Schluss ziehen. Wie ein anderer Prognostiker bemerkte, "haben es Raúls Burschen von der Armee, nachdem sie einträgliche Plätzchen in verschiedenen Korporationen mit ausländischem Management und Kapital besetzt haben, schnell herausbekommen, was für sie selbst gut und was schlecht ist. Deshalb sind sie schon ganz schön korrumpiert und können potentiell nicht die Unterstützung der alten Ordnung, sondern gerade umgekehrt die 'fünfte Kolonne' der USA werden, und die wird künftig dem Weißen Haus eine weit effektivere Hilfe erweisen als die Schreihälse von der kubanischen Emigration in Miami." Es war gleich kompliziert, dem einen wie auch dem anderen Gesprächspartner etwas zu entgegnen: Ich war zu Besuch, sie aber leben in Havanna.

Ordnet man alle von mir gehörten Prognosen nach ihrer Glaubwürdigkeit, so würde ich sie ungefähr folgenderweise auslegen. Offenkundig wird es auf Kuba zu Veränderungen kommen. Nicht minder offenkundig ist, dass den ernsten und großen Veränderungen eine gewisse Zwischenetappe vorausgehen wird, die am ehesten mit dem Namen Raúls zusammenhängen wird, der übrigens alt und krank ist und natürlich nicht die Unterstützung genießt, die Fidel hatte. Bemerkenswert ist noch etwas: Bei meinen zahlreichen Unterhaltungen mit örtlichen Taxifahrern - und die staatlichen Taxifahrer sind auf Kuba ebenfalls überwiegend in den Ruhestand versetzte Militärangehörige - konnte ich feststellen, dass sie praktisch sämtlich "Fidelisten" sind, wobei ich keinem einzigen unter ihnen begegnete, der für Raúl, den Verteidigungsminister und also seinen ehemaligen Befehlshaber, herzliche Worte gefunden hätte. So dass die Übergangsetappe, wie diesmal ich selbst vermute, auch nicht überaus lange und nicht unbedingt "gottgefällig" ausfallen könnte. Für Raúl unangenehme Überraschungen sind ebenfalls nicht ausgeschlossen.

Setzt man das "Offenkundige" fort, so kann man leicht erraten, dass über das endgültige Schicksal Kubas Leute entscheiden werden, die heute in der kubanischen politischen und militärischen Hierarchie an zweiter, dritter oder sogar vierter Position stehen. Gerade sie werden auf die wichtigsten Herausforderungen der Zeit, der USA und schließlich des eigenen Volkes antworten müssen.

Über die Herausforderungen der Zeit sind sich die Kubaner alles in allem klar. Erstens sind sie ein kluges, unternehmungslustiges Volk mit viel Stehvermögen, und viele von ihnen auch noch mit einer ausgeprägten Unternehmerader. Ein überzeugendes Beispiel dafür sind die kubanischen Emigranten. Viele von ihnen erreichten die amerikanische Küste, nur mit einer Hose angezogen, gehören aber heute - im Unterschied zu vielen anderen lateinamerikanischen Emigranten - zur Middle class der USA. Kubaner gibt es sowohl unter den amerikanischen Ministern als auch im US-Kongress. Zweitens sind die Inselbewohner - und das ist bereits ein Geschenk von Fidel - in ihrer Masse gebildet, was einen Kubaner von den durchschnittlichen Lateinamerikanern ebenfalls stark unterscheidet. Zu Fidels Zeiten hatten die kubanischen Kinder vielleicht nicht so viele Süßigkeiten, dafür aber Lehr- und andere Bücher in Hülle und Fülle.

Die Herausforderungen seitens der USA sind für die Kubaner genauso offensichtlich. Sieht man von der leeren Rhetorik ab, so handelt es sich leider um den elementaren Wunsch, Kuba wieder in einen amerikanischen Satelliten zu verwandeln. Es gibt vielleicht nur einen Unterschied: Während Kuba in alten Zeiten von den Nordamerikanern nur als Luxusstrand betrachtet wurde mit allem, was in ihrer Vorstellung dazu gehört (Prostitution, Spielkasinos, Luxushotels, Kabaretts), sind jetzt noch andere Interessen hinzugekommen: der kubanische Nickel und die vor kurzem entdeckten und gar nicht weit von Florida liegenden beträchtlichen Erdöllagerstätten. Da ohne Nickel moderne Waffen undenkbar sind und ohne Benzin das Lieblingsspielzeug des Amerikaners, der Kraftwagen, nicht von der Stelle kommt, sind das für die USA ernst zu nehmende zusätzliche Stimuli, sich aufdringlich in die kubanischen Interessen einzumischen.

Ergebnis: Wenn es etwas gibt, was heute die kubanische Nation wirklich zementiert, so ist es der Antiamerikanismus, den Washingtons irrationelle Politik auf jede Weise anheizt. Einer meiner kubanischen Gesprächspartner, übrigens ein Oppositioneller, bemerkte ironisch: "Wären die Amerikaner intelligent genug, so hätten sie wahrscheinlich schon längst die Kubaner in ihren Armen erstickt. Doch stattdessen ziehen sie es vor, ihre Feindschaft gegen Havanna zu demonstrieren. Ich finde, Fidel sollte den Amerikanern dafür herzlich dankbar sein. Und diese Dummheit dauert schon jahrzehntelang an, sowohl unter den Republikanern als auch unter den Demokraten."

Viel schwieriger wird es für die kubanische politische Elite der bevorstehenden Übergangsperiode sein, auf die Herausforderungen des eigenen Volkes zu reagieren. Die wichtigsten davon sind Armut und das Fehlen der politischen Freiheiten, wobei beide Probleme natürlich miteinander zusammenhängen. Der Traum einiger hochgestellter Kubaner ist es, eine örtliche Variante des chinesischen Weges zu finden, das heißt das politische System nicht anzutasten und zugleich den Markt zu öffnen. Aber das ist eine Illusion reinsten Wassers. Andersgeartete Traditionen, ein anderes Temperament, die unterschiedliche geopolitische Größe und vieles andere erlauben es nicht, die chinesischen Erfahrungen auf den kubanischen Boden zu verpflanzen.

Das Dilemma für die künftige kubanische Führung besteht darin, dass sie einerseits ohne einen vollwertigen Markt und ohne Privatinitiative die Massenarmut nicht überwinden kann. Die früheren und heutigen staatlichen Sozialprogramme der Hilfe an den einfachen Kubaner haben diese Aufgabe nicht gelöst und werden sie auch nicht lösen, sie sind lediglich eine Methode des Überlebens, weiter nichts. Andererseits werden ein offener Markt und die wirtschaftliche Freiheit in Anbetracht des kubanischen Charakters, von dem weiter oben die Rede war, nach einiger Zeit das alte politische System einfach hinwegfegen.

Wie ich schon früher schrieb, hat Fidel nur einen Teil der Aufgabe gelöst, die sein ideologischer Mentor, der "Apostel" José Martí, stellte: Er konnte für Kuba eine wahre Souveränität erlangen. Es gelang ihm jedoch nicht, auf Kuba eine wahre Demokratie aufzubauen. Es geht um das Wesentliche, die elementaren Dinge: freie Wahlen, Rede- und Pressefreiheit, Mehrparteiensystem. Meiner Meinung nach sollte ein kubanischer Patriot danach streben, die von Martí gestellte Aufgabe bis zu Ende zu lösen. Das kubanische Volk verdient es, dass seiner eigenen Wahl Achtung und Vertrauen entgegengebracht werden. Damit aber die Wahl wirklich frei ist, muss das heutige politische System auf Kuba Vergangenheit werden.

Eine pessimistische Variante der Entwicklung ist natürlich nicht auszuschließen. Einer der Analytiker, mit dem ich über die kubanische Zukunft sprach, bemerkte: Jedes Land könne in seiner Geschichte bisweilen noch so scharfe Wendungen vollziehen, aber letzten Endes kehre es auf den Weg zurück, der ihm von Gott beziehungsweise den geopolitischen Faktoren vorgeschrieben sei. Auch Kuba, das die Verführungen der Industrialisierung, des Sozialismus und so weiter erlebt habe, werde, wenn auch auf einer neuen historischen Stufe, in die alten Bahnen zurückgleiten. Gemeint waren die "Strandvariante" in der Wirtschaft und die Abhängigkeit vom nördlichen Nachbarn. Gerechtigkeitshalber sei gesagt, dass diese Variante meinen Gesprächspartner keineswegs erfreute, er hielt sie nur eben für unvermeidlich.

Dennoch ist auch das nur eine subjektive Version. Warum sollte Kuba übrigens auf die ihm von Gott bescherten beinahe paradiesischen Vorzüge der Natur verzichten? Der Tourismus als wichtiger Bestandteil der Einkünfte der kubanischen Wirtschaft muss nicht mit all jenen Lastern einhergehen, die für das vorrevolutionäre Kuba kennzeichnend waren.

Allerdings ist ein solches Risiko natürlich da - und nicht ohne weiteres auszuschließen. Nicht zu übersehen ist, dass sich selbst der heutige kubanische Tourismus bereits bei weitem nicht nur auf die schönen Strände beschränkt. Über den Sextourismus, etwa aus Italien, erzählten mir viele, darunter ein spanischer Padre in einer Kirche von Havanna. So sagte der Geistliche: "Sie können sich einfach nicht vorstellen, wie sehr das den einfachen Kubaner in seinen Gefühlen beleidigt. Der wichtigste Grund für das Zunehmen der Prostitution auf Kuba ist in letzter Zeit gerade die Armut. Was Wunder also, wenn ein Stubenmädchen, das in den besten Hotels von Havanna zehn Dollar im Monat verdient, glücklich ist, dort unterzukommen, weil sie eine Chance bekommt, beim Verkehr mit Ausländern 'dazuzuverdienen'. Dieses 'Glück' endet mit Tränen, und sie kommt dann zu mir. Natürlich muss der Erniedrigung der Menschen durch Armut ein Ende gesetzt werden. Und kein 'sozialer Korb', von dem die hiesigen Behörden so gern reden, kann dieses Problem lösen." Nun ist Prostitution ein bei weitem nicht nur kubanisches Problem, aber das, was der spanische Geistliche sagte, bleibt doch wahr.

Abschließend einige Schlüsse. Erstens: Der Beginn der Übergangsperiode auf Kuba ist bereits eine Sache der nahen Zukunft. Zweitens: Die wirtschaftliche Zukunft des Landes ist natürlich nicht der Sozialismus, sondern eine normale Marktwirtschaft in einem sozial orientierten Staat. Drittens: Das politische System des künftigen Kuba ist Demokratie. Die nationale Idee wurde noch von José Martí formuliert: Antiimperialismus, Schutz der kubanischen Souveränität, Überwindung der Armut und ein demokratisches System, das sein Volk nicht formell, sondern in der Tat achtet.

Wenn die Aufgabe eines evolutionären und alles in allem friedlichen Übergangs vom alten zum neuen System gestellt wird, sollte Kuba meiner Ansicht nach zwei Dinge kategorisch ausschließen: eine Schocktherapie gemäß den liberalen Wirtschaftsrezepten und eine ausländische Einmischung. Das eine und das andere wird bei den meisten Kubanern unbedingt auf eine harte Gegenreaktion stoßen. Das Leben hat ihnen bereits die Bedeutung einer sozial orientierten Wirtschaft und den Antiamerikanismus beigebracht.

Schon heute könnten die nächsten Verbündeten des Kuba von morgen genannt werden. Das sind vor allem jene lateinamerikanischen Länder, die heute den von Bolívar und dem schon erwähnten Martí vorgezeichneten Weg gehen - oder ihn morgen gehen werden. Zur Zeit sind es Brasilien, Venezuela, Bolivien und Nicaragua. Das sind sämtlich kapitalistische Länder mit einer Marktwirtschaft, einem sozial orientierten Staat und einer Demokratie der Übergangsperiode. Morgen kann sich diese Liste verändern, das heißt sich erweitern oder verengen, aber gerade darin ist ein Platz für Kuba reserviert.

Beliebige umfassende Veränderungen in Politik und Wirtschaft sind stets schmerzhaft. Werden die Kubaner in Ruhe gelassen und wird ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln, so werden die Überbelastungen auszuhalten sein und wird der Übergang vom Alten zu Neuem, historisch gesehen, nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen. Immerhin ist Kuba nicht China und nicht Russland.

Wird Kuba dagegen nicht in Ruhe gelassen und Washington im Gegenteil versuchen, auf der Insel durchzusetzen, was den Kubanern kategorisch nicht passt, dann werden die gleichen Prozesse mit weit mehr Komplikationen, vor allem aber viel dramatischer verlaufen. Möge Gott das verhüten!


http://www.ruinas.de http://www.raros.de


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26.11.2006 18:10
avatar  dirk_71
#2 RE: Kuba: Politische Prognose für morgen und übermorgen
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Rey/Reina del Foro

Guter Artikel..
aber haben wir schon im Forum... ( ein paar Beiträge weiter unten )

https://www.kubaforen.de/t514318f11718482...ebermorgen.html


Nos vemos
Dirk
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Das Infoportal zu Kuba (mit täglichen News aus Kuba, Casas Particular Datenbank und vielem mehr ):
http://www.mi-cuba.de // http://www.mi-kuba.com



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26.11.2006 18:12
#3 RE: Kuba: Politische Prognose für morgen und übermorgen
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Rey/Reina del Foro

Zitat von dirk_71
Guter Artikel..
aber haben wir schon im Forum...

... und vor allem mit Quellenangabe, die unser Medienprofi Pepino leider regelmäßig vergisst.
___________________________________
La distancia no es la causa para que nazca el olvido.


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27.11.2006 11:35
avatar  greenhorn ( gelöscht )
#4 RE: Kuba: Politische Prognose für morgen und übermorgen
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greenhorn ( gelöscht )

jetzt hat er endlich mal einen Beitrag eingestellt, der länger als 2 1/2 Zeilen ist-
und wird noch gescholten

schämdi


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