Havanna 1999 - gutes Bericht:

25.12.2001 12:10
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#1 Havanna 1999 - gutes Bericht:
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Pablo G. ( Gast )

Eine Reportage von Susanne Kip und Marc Aschmann

Police & Thieves in the streets fightin´ the nation with their guns and ammunition (Junior Murvin 1977)
Hoch und nieder - dauerndes abajo & viva

Anfang März erhielten wir einen Text von Richard West ("Kuba im Februar 1999 - ein lebendiges Gefängnis", nachzulesen hier), der uns schwer zu denken gab. Richard West berichtet unter anderem von der seit Anfang des Jahres erheblich verstärkten Polizeipräsenz und ihren Folgen sowie den neuen Gesetzen zur Eindämmung von Raub und Prostitution. Nach unserer Kuba-Reise können wir seine Eindrücke im großen und ganzen nur bestätigen: Den Kubanern wird das Leben immer schwerer gemacht, sie werden eingeschüchtert, demoralisiert und schikaniert.
In Havanna wird dies am deutlichsten: 24 Stunden am Tag ist jede Straßenecke von einem Polizisten "bewacht", dazu kommen unzählige seiner Kollegen in Zivil. Beide halten nach Lust und Laune Kubaner an und kontrollieren ihre Papiere. Sind sie mit einem Touristen unterwegs, werden sie machmal in Ruhe gelassen, manchmal jedoch erregt dies erst recht die Aufmerksamkeit. Locker gehen mit diesem Procedere nur wenige um, die meisten Kubaner sind verängstigt, trauen sich kaum noch aus dem Haus heraus und treffen viele Vorsichtsmaßnahmen, wenn ein ausländischer Freund seinen Besuch ankündigt.

Daß jedoch durch das Aufgebot der Uniformierten (deren Gehalt seit Januar verdreifacht wurde), oder durch die drakonische Strafen Prostitution und Raub eingedämmt werden, darf bezweifelt werden. Das Geschäft der jineteras hat sich schlichtweg verlagert. Ein Teil ihrer Einnahmen wandert nun in die Taschen des Hotelpersonals und der Polizisten, die dafür das ein oder anderer Auge zudrücken. Auch die Taschendiebstähle sind unserer Erfahrung nach nicht zurückgegangen, dafür aber oft dreister geworden. So wurde eine Schweizerin brutal zu Boden gestoßen, um ihr den Rucksack abnehmen zu können. Ihre Verletzungen mußte sie im Krankenhaus behandeln lassen. Dort, so erzählte sie, sei sie nur eine von vielen gewesen, denen ähnliches passiert war. Marc selbst sah sich urplötzlich am Malecon einigen kleineren Boxhieben eines 15jährigen Burschis ausgesetzt, die ihn davon ablenken sollten, daß die Hand eines kubanischen Nachwuchstaschendiebes, circa 8 Jahre alt, in seine Hosentasche wanderte, um das Portemonnaie herauszuziehen. Mit der Geldbörse verschwand auch die Kreditkarte auf Nimmerwiedersehn - und wir wurden um ein paar Erfahrungen mit der Polizei reicher.

Marc wandte sich an einen der zahlreichen Polizisten, um von ihm zu erfahren, ob und wo man in Havanna eine Kreditkarte sperren lassen kann. Das Ergebnis vorweggenommen: Fast 24 Stunden später erhielten wir den entscheidenden Tip: In einem Gebäude direkt neben dem Hotel Habana Libre lassen sich Kreditkarten problemlos sperren.

Doch zunächst wurden wir zwecks einer sinnlosen Verfolgungsfahrt in ein Polizeiauto verfrachtet. Dann ging es zu insgesamt drei Polizeistationen. Dort wurde Marc aufgefordert, unter den Gefangenen den richtigen herauszufinden. Da das nicht möglich war, wurde ihm vorgeschlagen, stattdessen doch einen 16jährigen als Täter zu identifizieren, der eh schon genug auf dem Kerbholz. habe. . . (Was ich dankend ablehnte ! M.)

Es folgten mehr als drei Stunden Warterei auf der Wache, weil der Spezialist zur Anzeigenaufnahme nicht da war, aber jede Minute erwartet wurde. Als es uns das Herumsitzen zu dumm wurde, und wir immer lauter protestierten, versuchte sich dann eine Beamtin am Computer. Sie tat dies hochkonzentriert und mit dem Einfingersuchsystem, wobei sie sich nach dem Eintippen eines jeden Buchstabens vergewisserte, daß dieser auch auf dem Bildschirm erschien.

Wir froren im einzig klimatisierten Büro unter den Portraits von Fidel und Raul und konnten eine Viertelstunde später ein Papier mit zwei Zeilen Text und Stempel mit nach Hause tragen, das uns notfalls bei unserer Versicherung weiterhelfen sollte.

Gegen 21 Uhr schellte ein Polizist an der Haustür, es war der am Nachmittag so sehnlichst erwartete Experte. Da er uns nicht antraf, kam er am nächsten Morgen um 7 Uhr samt Schreibmaschine wieder, und die Anzeige wurde ein zweites Mal aufgenommen. Am Nachmittag kündigte dann ein weiterer "Spezialist" per Telefon sein Erscheinen um 18 Uhr an. Dieser Herr tauchte zur verabredeten Zeit nicht auf (was wir nicht besonders traurig fanden). Es gab ein weiteres Telefonat mit der Polizei, in dem Marc versicherte, alle Probleme seien geklärt, und die kubanischen Streifenträger seien wundervoll. Dann war es geschafft. Endlich Ruhe.

Die Jungs von der PNR (Policia Nacional del Revolucion) stehen üblicherweise 24 Stunden an JEDER Ecke der Blocks am Malecon herum - waren aber zufällig genau in der Minute der Taschendiebattacke verschwunden. Wir mögen allerdings nicht mehr an Zufall glauben, da die Korruption ziemlich offensichtlich vonstatten geht und sich immer weiter durch die Gesellschaft frißt. Eine Gesellschaft, deren Überleben von Zahlungen der Verwandten und vom Tourismus abhängt. Wer keine Tante in Miami hat, keinen Job im Tourismus und dessen Haut besonders viele Pigmente aufweist hat von vorneherein kaum andere Chancen an Dollares zu kommen als die Kids, deren Opfer Marc wurde. Third World Shit eben.


Auf den Dollar angewiesen
Eine Bauernküche bei St. Lucia
Daß die Versorgungslage in Kuba alles andere als rosig ist: Auch dafür haben wir einmal mehr unzählige Beispiele erlebt. Weil kaum noch Medizin im Land vorhanden ist (gegen Dollars ist natürlich viel möglich....) haben sich die Apotheken jetzt auf Naturpräparate eingeschworen. Gerne verkauft wird allerdings auch "Lindano", was nach Aussagen der Apothekerin gegen Mückenstiche hilft. (Lindan fand sich in Deutschland vor 15 jahren noch in Holzschutzmitteln oder war als Insektizid erhältlich. Mittlerweile ist es hier verboten...).
Nicht weniger schlimm sieht es bei Lebensmitteln aus. Die Libretta (Bezugsheft) listet zwar nach wie vor auf, was alles ausgeliefert werden sollte, doch in den Haushalten selbst kommt außer ein wenig Reis (der für vier Wochen reichen sollte, es de facto aber nur für zwei tut) und Bohnen kaum noch etwas an.

(Wir haben einen alten Freund und seine Familie zum Essen eingeladen - die rund 70 Jahre alten Eltern konnten sich die Tränen nicht verkneifen: Für sie war es das erste "Schnitzel", das sie seit der Revolution gegessen haben - und die liegt mittlerweile 40 Jahre zurück.)


Eine Bäuerin in der Gegend von St.Lucia (Provinz Holguin) im Gespräch mit Susanne
Auf dem Land ist die Versorgungslage erheblich besser. Hier können die kleinen Bauern zumindest selbst noch ein paar Hühner, Schweine oder Kühe halten. Dafür fehlt es hier mehr als in Havanna an anderen Sachen. Vor allem Schuhe und Unterhosen sind Mangelware. Sanitärartikel sind sowohl in der Hauptstadt als auch auf dem Land rar.

Dies ist das einzige Restaurant auf der ehemaligen Sklaven -Insel "Cayo Granma" im Hafen von Santiago.(Mehr darüber demnächst)
Da Kubaner ihren kümmerlichen Arbeitslohn in Peso ausbezahlt bekommen, haben sie wenig Chancen, an die überlebensnotwendigen Dollars heranzukommen, für die sich solche "Luxusartikel" wie Seife, Bratöl oder Schuhe erstehen lassen. Legal können sie nur dann an die Zweitwährung im Land kommen, wenn sie sich - natürlich mit Dollars - einen Job im Tourismus erkauft haben. Andere wiederum setzen auf Eigeninitiative, erwerben eine Lizenz zum Vermieten von Privatzimmern (Casas particulares) oder zur Eröffnung eines kleinen Paladars (eine Art Privatrestaurant). Ihr Engagement jedoch wird mit nicht zu knappen Steuern bestraft. So erzählte uns Pablo aus Baracoa, daß er pro Zimmer und Monat 100 US an den Staat abzudrücken habe, unabhängig davon, ob das Zimmer auch tatsächlich vermietet ist. (Anm.: In Baracoa zahlt man für ein Doppelzimmer zwischen 5 und 15 US) Am Ende des Jahres dann erscheint ein Inspectore, um sich die Belegungsbücher zeigen zu lassen und die "Vorsteuer" für das nächste Jahr festzusetzen.

small biz in Baracoa
Für viele erweist sich die Steuerlast als zu hoch. Paladares, in denen es uns im letzten Jahr noch geschmeckt hatte, waren in diesem Jahr verschwunden. Unser neuester Tip ist jetzt das HANOI schräg gegenüber vom Capitolio. In diesem kleinen Restaurant bezahlt man für ein Gericht (Huhn, Schnitzel oder Fisch mit Reis, Bohnen und Salat ) nicht mehr als 2,60 Dollar. Auch im Barrio Chino finden sich preisgünstige kleine Restaurants.
Obwohl wir schon das vierte Mal in Havanna waren, mußten wir uns auch diesmal wieder neu orientieren: Da es für Touristen mittlerweile nicht mehr möglich ist, auf der Straße ein Privatauto anzuhalten, ist man auf Taxis angewiesen. Dabei machten wir die erstaunliche Erfahrung, daß die großen, dicken Wagen erheblich billiger sind, als die kleinen Touritaxis. Handeln sollte man bei den "Bici-Taxis" (so etwas ähnliches wie eine Fahrrad-.Rikscha). Sie kosten im Normalfall zwischen einem und zwei Dollar, verlangt werden aber auch gerne schon mal sieben.

Was Fidel gegen die Armut im Lande tut? - Er predigt
Was Fidel gegen die Armut tut? Den ewig gleichen Sermon vom Kampf des kleinen Kuba gegen den übermächtigen imperialistischen Nachbar herunterbeten.

Cayo Granma: hinter dem CHE Plakat gehts in die Stollen, in denen früher die Sklaven gefangen wurden.
Nach dem gewonnenen Baseball-Rückspiel in den USA (das Hinspiel in Havanna haben die Cubaner verloren) gab es am nächsten Tag einen großen Fidel-Auftritt an der Treppe zur Universität in Havanna. In brütender Hitze beglückwünschte er die Spieler - und alle Cubaner - zum errungenen Sieg über Amerika. Damit allerdings war er wieder bei seinem liebsten Thema: Die Blockade, die Globalisierung und die heldenhaften Cubaner. Schüler und Studenten hatten unterrichtsfrei und stellten den größten Teil des Publikums - waren aber derart miteinander beschäftigt, daß sie ihrer zugeteilten Rolle als Claqueure nur höchst unzureichend nachkamen.
Daß seine Rede über Lautsprecher in der Stadt verbreitet wurde, muß wohl nicht extra erwähnt werden. Ansonsten berichtete die Granma (die einzige Tageszeitung Cubas) stolz, daß demnächst wieder Kugelschreiber an die Schulen ausgegeben werden. Darüber hinaus haben wir keine Verbesserung zu den letzten Jahren erkennen können.


Von Havanna nach Baracoa, von Baracoa nach Santiago de Cuba
So siehts bei Baracoa aus - typisch für die Gegend
Von Havanna aus ging es mit dem Flugzeug nach Holguin (80 US), von dort per Taxi zu den Cabanas "Don Limo", einer kleinen Anlage, rund 30 Kilometer von Guardalavaca entfernt. Nachdem wir drei Tage in der Sonne gebrutzelt und über die zahlreichen Korallen dort gestaunt hatten, machten wir uns mit dem Auto auf den Weg nach Baracoa.
Nach und nach löst sich die Eintönigkeit der Zuckerrohrfelder auf. Die ersten Hügel, später werden es Berge, tauchen auf. Entlang der Farola (der kleinen Serpentinenroute vor Baracoa) bieten Kinder nicht nur Mangos, Orangen und Bananen, sondern auch Kaffee und Chuchuruchu an.

Als wir dann in dem kleinen 38.000 Seelen großen Dorf Baracoa halten, werden wir sofort von zwei Teenagern entdeckt, die uns ein Privatquartier besorgen wollen.

Baracoa, die erste Hauptstadt Kubas, erscheint wie der Gegenpart zu Havanna. Laut und hektisch ist hier nichts, der Autoverkehr hält sich mehr als nur in Grenzen. Zu den beliebtesten Fortbewegungsmittel zählen Pferdewagen und Fahrrad. Alte, kleine und in den Farben schon verblaßte Kolonialhäuser säumen die "Hauptstraße", an der gleich mehrere öffentliche Plätze liegen. Der eine von ihnen gibt erst am Abend sein Geheimnis preis, wenn der Holzkasten, der auf einem hohen Pfahl befestigt ist, geöffnet wird: Dann erscheint ein Fernsehgerät - und die Fans der brasilianischen Telenovela können sich beruhigt auf die Holzbänke zurückfallen lassen.


Die Hausband im Casa de la trova in Baracoa
Baracoa ist aber vor allem auch eine Stadt der Musik. Ein Highlight dort ist das Casa de la Trova, das jeden Abend um 21 Uhr öffnet (Touristen zahlen 1 US-Dollar Eintritt). Die Hitze - es sind mit Sicherheit im Mai über 35 Grad gewesen - stört weder die "Hausband" mit dem fantastischen Gitarristen Williams an der Spitze, noch das Publikum. Nur wenige Touristen verirren sich hierhin - und wer kommt, der lernt eines dort gewiß: Tanzen.
Wer wandern mag, sollte einen Ausflug zum Yunque einplanen. Am Sockel des Berges läßt es sich sogar auf dem Campingplatz in kleinen Hütten wohnen.

Wir haben allerdings auf den fünfstündigen Aufstieg verzichtet und uns stattdessen in und an einem traumhaft klaren Fluß (duaba) gemütlich gemacht. Nicht weit davon entfernt liegen die kleinen Palmen-Häuser der Bauern. Sie haben uns (gegen Dollar, versteht sich) bestens mit Ananas und gerösteten Platanos versorgt.


DIE ZIGARRENFABRIK in Baracoa
Die Tabakfabrik in Baracoa
Die kleine Zigarrenfabrik "Manuel Fuentes " produziert sehr leckere und natürlich preisgünstige Puros für den Hausgebrauch. Die Marke nennt sich Cacique, es gibt 5 Formate - exportiert werden sie nicht. Man kann einfach reinspazieren und sich welche kaufen. Auf Cuba gibt es übrigens Dutzende solche Fabriken die nur für den heimischen Markt produzieren und nicht selten sehr interessante Alternativen zu den Exportmarken bilden. (Also - wenn sich jemand Puros mitbringen lassen will - vergesst die großen Marken- fast alles was davon brauchbar ist wird exportiert.)

Abendstimmung auf Cayo Granma mit Mojito
Für exakt 18 US-Dollar ging es dann mit dem Flieger zur zweitgrößten Stadt Kubas, nach Santiago (rd. 500.000 Einwohner). Für unseren Geschmack reicht hier ein Aufenthalt von drei bis vier Tagen durchaus aus. Empfehlen können wir den Mojito in und den Blick von der Bar des wiedereröffneten Casa Grande, einen Ausflug zur Cayo Granma und das Restaurant 1900 (Pio Basilio, zwischen Pio Rosado und Hartman). In diesem alten Barcadi-Palast wird in absolut stilvoller Atmosphäre serviert - und die Rechnung wird wahlweise in Peso oder Dollar gestellt. Zu zweit haben wir für ein reichhaltiges Mahl inclusive Getränke sechs Dollar bezahlt. Wer sich für Musik interessiert, kann (aber muß nicht) in das hiesige Casa de la Trova gehen, das reichlich touristisch anmutet. Besser ist es sicherlich, sich einfach durch die "Kneipen" treiben zu lassen oder aber bei der UNEAC (Pio Rosado) vorbeizuschauen.


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