Odilo Alonso: Entre muros

02.01.2012 20:19
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#1 Odilo Alonso: Entre muros
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Cubaliebhaber/in

18 años prisoniero de Castro

Das ist eine Autobiographie mit Schwergewicht (ca. 50 % des Buches) auf den 18 Jahren, die er in Kuba im Gefängnis sass (1960 – 1978).

Die Geschichte fängt in Galizien/Spanien an. Der Vater Odilos hatte seine Frau mit zwei kleinen Kindern sowie Odilo im Bauch sitzengelassen und war nach Kuba abgehauen, von wo er nichts mehr von sich hören liess. Sie verstarb einige Jahre nach Odilos Geburt, als alle drei Geschwister noch im Kindesalter waren. Odilo, jetzt Vollwaise, landete bei bösartigen Verwandten, die ihn als Arbeitssklaven ausnützten.

Dieser Teil des Buches ist mühsam. Ich habe die Lektüre immer wieder unterbrochen und mich gefragt, ob ich überhaupt weiterlesen soll. Der Ton ist zu larmoyant; es gibt zuviele Adjektive, die wohl Mitleid erregen sollen. Ich las aber weiter und erfuhr, dass er sich tapfer durchs Leben kämpfte und zum fähigen Berufsmann wurde. Jedoch verfolgte ihn eine fixe Idee: er wollte in Kuba seinen Vater suchen. Eigentlich schwer verständlich, jahrelang zu schuften und zu sparen und Leute zu beschnorren – nur um das Geld zusammenzukratzen, um einen solchen Rabenvater zu suchen, mit dem er noch nie im Leben Kontakt hatte. Aber so war es.

Dieser Abschnitt ist weniger mühsam als derjenige über die Kindheit. Man wundert sich jedoch, wie ein Mensch zwei Vollzeitjobs und ein Studium bewältigen kann und dann immer noch Zeit für eine Freundin zum schlafen und essen hat. Aber ab ca. Seite 50 wird es interessant. Er schifft sich nach Kuba ein (Mitte der 50er Jahre), und findet dort nach mühsamer Suche in der Gegend von Matanzas tatsächlich den Vater, der sich nicht als Charakterschwein, sondern als arme Seele entpuppt, der von starken Gewissensbissen ob seines Verhaltens in Spanien gequält wird. Odilo bleibt auf Kuba hängen, findet einen tollen Job und wird von seiner Firma auf die Isla de Pino (jetzt Juventud) versetzt. Dort läuft alles blendend – bis die Revolution ausbricht. Da er sich stark mit der Firma identzifiziert, ehrlich ist, die Freiheit liebt und ein Demokrat ist, und der Patron der Firma ein sehr anständiger Mensch und Freund ist, bekommt er natürlich ein Problem, als Castros Leute die Firma konfiszieren und der Chef in die USA flüchten muss. Odilo driftet ab in den antikommunistischen Widerstand, der ihn schliesslich in die Sierra del Escambray führt.

Ab hier wird die Geschichte echt spannend.

Odilo und eine Gruppe Gleichgesinnter lassen sich zu den Widerstandkämpfern in den Bergen lotsen. In Halbschuhen und Zivilkleidern, sonst nichts. Ich habe noch nie von einer Guerrilla-Gruppe gelesen, die ihren Kampf derart amateurhaft geführt hat, wie Odilo ihn beschreibt.

Mao Tse Tung soll gesagt haben, ein Guerrillero müsse sich in der Bevölkerung bewegen können wie ein Fisch im Wasser. Recht hat er. Wenn der Widerstandkämpfer immer damit rechnen muss, verpfiffen zu werden, hat er keine Chance.

Das war aber in der Sierra del Escambray der Fall. Odilos Gruppe hat vom ersten Tag an quälenden Durst (kein Wasser vorhanden), bohrenden Hunger (nichts zu essen), keine Uniformen, keine Stiefel, kein Ess- oder Kochgeschirr, keine Decken und nicht genug Waffen, und pro Schiessprügel bloss ein Magazin Munition. Die Gruppe ist von Anfang an zu 100 % damit beschäftigt, Wasser und Nahrung zu suchen sowie den Castro-Truppen aus dem Weg zu gehen. So kann man keinen Krieg gewinnen, und schliesslich wird Odilo gefangengenommen.

Nach einigen Monaten in einem Knast in Tope de Collantes wird er auf die Isla de Pino überführt. Während seines Aufenthaltes dort graben die Gefangenen einen Fluchtstollen. Es liest sich wie im Buch „The Great Escape“, allerdings mit dem Unterschied, dass die Tunnelbauer denunziert werden. Es folgen einige äusserst unangenehme Jahre auf der Isla de Pinos. Ab 1968 und bis zu seiner Freilassung im Jahre 1978 wurde er immer wieder von einem Gefängnis zum anderen geschoben: nach Havanna, Boniato, Pinar del Río und Combinado del Este (von wo aus er dann entlassen wurde).

Es sind Jahre quälender Langweile, unterbrochen von Hungerstreiks, Prügeleien mit den Wächtern, Psychokrieg, Folterungen (nein, kein Fingernägelausreissen, es gibt andere Methoden) und Einzelhaft. Odilo ist (von der Gefängnisleitung aus gesehen) ein renitenter Gefangener. Von ihm aus gesehen hält er einfach seine Prinzipien hoch. Beispielsweise weigert er sich zu arbeiten (wo man sowieso von den Wächtern verprügelt und mit dem Bajonett gepiekst wird), und er will die gelben Klamotten des „prisoniero comun“ nicht tragen, da er ein politischer Gefangener ist. Lieber läuft er in den Unterhosen herum. Auch will er sich nicht in die Umerziehungsprogramme eingliedern. Eine solche Haltung führt natürlich dazu, dass er erst recht gepiesackt wird.

Nach 18 Jahren ist er ein physisches Wrack. Schliesslich bringt es der spanische Botschafter in Kuba fertig, ihn da rauszuholen und nach Spanien zu repatriieren.

Nach der Lektüre dieses Buches überlegt man sich manches. Beispielsweise:

Erstens: Odilo wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Ueber den Prozess verliert er – im Gegensatz zu Huber Matos in seinem Buch „Cómo llegó la noche" - kein Wort. War das dem Autor schlicht zu wenig wichtig? Wenn er schon so unerhebliche Details wie seine Verwandtschaft auf Kuba beschreibt, warum nicht den Prozess?

Zweitens: Er beschreibt irgendwo die Umfuhr von Pinar del Río nach Havanna in einem Käfigwagen. Drei Käfige, einer davon von fünf weiblichen Häftlingen besetzt. Er beschreibt, wie die Frauen verbal auf einander losgehen und sich auf die brutalste Art und Weise prügeln. Dies führt zu der Frage: was läuft wohl alles in einem kubanischen Frauenknast ab? Man ahnt Uebles.

Drittens. Wäre Odilo weniger renitent gewesen (oder weniger prinzipientreu, je nach Standpunkt), hätte er also in Gottes Namen seinen Stolz runtergeschluckt und an so einem Umerziehungsprogramm teilgenommen, und/oder hätte er sich nicht geweigert, gelbe Kleinder anzuziehen, dann wären ihm sicherlich etliche Jahre Haft erspart geblieben; er wäre früher rausgekommen. Dass die „Umerziehung“ durchaus Chancen bot, bewies ein Kumpel von ihm: er besuchte die Kurse; tat so, als ob er glühender Kommunist wäre, gewann zunehmend Bewegungsfreiheit, wurde in die Provinz Pinar del Río geschickt, bastelte sich dort hinterrückes ein Floss und floh schliesslich erfolgreich in die USA.

Nun ist es für uns, im Abstand von 40 Jahren und etlichen tausend Kilometern, wohlgenährt in der warmen Stube sitzend, leicht, darüber zu urteilen. Besser wir tun es nicht. Was da abgelaufen ist, können wir zwar lesen, aber nachvollziehen können wir es nicht.

Mal abgesehen vom mühsamen Anfang und dem Schluss, wo Odilo die Hartköpfigkeit auf die Spitze treibt und man am liebsten sagen möchte: „lass gut sein, hör auf, die Geschichte ist vorbei“ ist der grösste Teil des Buches spannend geschrieben. Sie haut in die gleiche Kerbe wie das oben erwähne Buch von Huber Matos.


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