In Südamerika ist die Linke erfolgreich

18.11.2004 07:56 (zuletzt bearbeitet: 18.11.2004 07:57)
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Rey/Reina del Foro


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In Südamerika ist die Linke erfolgreich

In Chile findet ab morgen ein Gipfeltreffen der Pazifikstaaten statt. Eine gute Gelegenheit für das Land, seine wirtschaftlichen und politischen Erfolge einer grossen Staatengemeinschaft zu präsentieren. Chile ist der Musterschüler Südamerikas; dort wie in mehreren anderen Ländern des Subkontinents sind Links- oder Mitte-links-Regierungen an der Macht.

Amerika hat gewählt, und zwar nicht nur im Norden, sondern auch im Süden. Die Ergebnisse zwischen den nach rechts gerutschten USA und Südamerika sind allerdings gegenläufig: In Brasilien, Chile und Venezuela sind Ende Oktober (Mitte-)Linksregierungen in Regionalwahlen bestätigt worden, und in Uruguay wird erstmals in der Geschichte des Landes ein Linksbündnis den Präsidenten sowie die Parlamentsmehrheit stellen. Auch in Argentinien regiert der Linksperonist Nestor Kirchner nach Ansicht vieler nicht ohne Erfolg. Was macht linke Parteien in Südamerika also so attraktiv?

Neue politische Ansätze
Trotz mancher transnationaler Gemeinsamkeiten wäre es falsch, sich einen einheitlichen «Linksblock» von der Karibik bis Feuerland vorzustellen. Am Pazifik sieht es ohnehin anders aus. Die Präsidenten Alvaro Uribe in Kolumbien und Alejandro Toledo in Peru setzen auf Freihandel und Kooperation mit Washington, ebenso wie der Sozialist Ricardo Lagos in Chile, dem eindeutig stabilsten Land des Subkontinents. Lagos legte kürzlich in einem Interview seine Sicht der Dinge dar: «Wenn eine progressive Gruppe auftaucht, die die Gesellschaft verändern will, warnt das Establishment sofort vor dem Chaos. Wir haben aber bewiesen, dass man Veränderung anstreben kann, ohne dass das Chaos ausbricht.» Denn das Bündnis «Concertacion» in Chile, die Arbeiterpartei (PT) in Brasilien und die «Breite Front» in Uruguay sind zu Parteien sozialdemokratischen Zuschnitts herangewachsen, die den rechten Machtallianzen aus Wirtschaftselite und Militärs gangbare politische Alternativen entgegensetzen. Das Zeitalter der Guerilla ist mit Ausnahme der Farc in Kolumbien, die unter einer politischen Tarnkappe florierenden Drogenhandel betreiben, ohnehin längst vorbei. Ihr einstiges Monopol auf linke politische Ideen ist seit der Wahl eines Gewerkschafters zum Bürgermeister in Bogotá selbst in Kolumbien gebrochen. Die gemässigten Linksparteien sind sich darin einig, «einen Kapitalismus ‹mit menschlichem Antlitz› und neue Formen der internationalen Solidarität zu suchen», erklärt der kolumbianische Politologe Alejo Vargas Velazquez. Der im Elend aufgewachsene Präsident Lula da Silva nützt sein Ansehen, um im Namen Brasiliens weltweit neues Engagement für die Armen einzufordern. Gleichzeitig kämpft seine Regierung - mit Erfolg - in der Welthandelsorganisation gegen die Handelsbarrieren an, die vor allem landwirtschaftliche Exporte aus Entwicklungsländern hemmen. Anders als Kolumbien und Peru drängt Brasilien darauf, die südamerikanische Integration durch das Handelsbündnis Mercosur voranzutreiben, bevor mit den USA über eine gesamtamerikanische Freihandelszone verhandelt wird. Geeint will man dem übermächtigen Norden mehr entgegensetzen.

Der Weg Richtung Mitte
Für die Neuorientierung Richtung Mitte gibt es verschiedene Gründe. Das schon seit 1990 regierende Bündnis in Chile musste nach dem Rückzug Augusto Pinochets gemässigt auftreten, um den Übergang zur Demokratie nicht zu gefährden. In Brasilien wurde Lula erst im vierten Anlauf gewählt, der neue uruguayische Präsident Tabare Vazquez erst im dritten Versuch. Ihre Parteien haben gelernt, dass die Wähler keine extremen Alternativen wollen. Auch wenn es parteiinterne Diskussionen gibt, ist ihr Regierungskurs klar: Marktwirtschaft und Strukturreformen, um die auslän- dischen Investoren bei der Stange zu halten, sowie Hilfe für die Schwachen - aber ohne die Volkswirtschaft zu destabilisieren. In Argentinien, Brasilien und Uru- guay ist die Wahl linker Präsidenten die Folge der ausgeprägten Marktöffnungs- und Privatisierungspolitik der 90er-Jahre. Dieses Rezept hatte ausser Acht gelassen, dass für eine erfolgreiche Liberalisierung essentielle Bedingungen wie starke Kontrollinstanzen oder eine unabhängige Justiz oft fehlten. In Argentinien verscherbelte die Regierung Menem achtlos Staatsbetriebe, solange es nur der Präsidentenclique nützte. In Brasilien und Uruguay wurde verantwortungsvoller gewirtschaftet. Doch es dauert lange Jahre, bis sich eine stabile Währung oder der Aufbau gewinnbringender Unternehmen auch für die Armen in klingender Münze auszahlen. Vier Jahre Rezession ab 1998 und die Finanzkrise Ende 2001 liessen die Armutsquote in Argentinien und Uruguay erst recht in die Höhe schnellen. Nicht in das Schema einer neuen, gemässigten Linken passen Präsident Nestor Kirchner in Argentinien und Hugo Chavez in Venezuela. Wesentlich für beider Erfolg ist die Schwäche ihrer politischen Gegner. Die Peronisten, deren Programm in erster Linie Machterhaltung lautet, haben Argentinien mittels klientelistischer Strukturen so gut im Griff, dass sie quasi jede ernst zu nehmende Opposition zugrunde gerichtet haben.

Putschist an der Macht
Präsident Hugo Chavez wurde erstmals 1998 aus Protest gewählt, weil es sich die beiden Traditionsparteien, Sozial- und Christdemokraten, an der Macht zu bequem eingerichtet hatten. Der ehemalige Putschist hat aus strategischen Gründen bisher den demokratischen Schein gewahrt. Sein politisches Vorbild ist aber Fidel Castro. Seit dem verlorenen Referendum gegen Chavez im August ist die Opposition zertrümmert, in den Regionalwahlen Ende Oktober hat sie viele Ämter verloren. Der Präsident kann nun in Ruhe daran gehen, das Höchste Gericht zu seinen Gunsten umzubauen, die Pressefreiheit stark einzuschränken und das Strafrecht so zu ändern, dass Protestaktionen gegen die Regierung zu jahrelangen Haftstrafen führen.

Cornelia Mayrbäurl, Buenos Aires

http://www.tagblatt.ch/index.jsp?artikel...ort=hintergrund


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