Mehr als Castros Höfling

22.10.2004 21:35
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Rey/Reina del Foro

Quasibiografie:
Mehr als Castros Höfling

Von Gerhard Drekonja-Kornat (Spectrum) 23.10.2004

Kubas Fidel Castro ist in Harald Irnbergers Quasibiografie über "Gabriel García Márquez" als Dritter fast immer dabei. Und doch eröffnet das Buch auch einen brauchbaren Zugang zum Werk des Kolumbianers.

Harald Irnberger, der ja selbst ein Kärntner Kraftlackel ist, mag starke Literaten-Männer. Sein Leben schien ihn zum Biografen Ernest Hemingways zu prädestinieren. Stattdessen legt er jetzt ein Buch über Gabriel García Márquez ("Gabo") vor. Akademische Puristen mögen ob solcher Chuzpe aufheulen. Es sei jedoch festgehalten: Diese flott geschriebene Quasibiografie hat ihre Meriten und eröffnet einen höchst brauchbaren Zugang zu Leben und Werk des kolumbianischen Meistererzählers.

Irnberger umgeht geschickt die Falle einer eigenen literaturwissenschaftlichen Deutung. Dass Gabo meisterhaft schreibt, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Dafür garniert er die Lebens- und Werkgeschichte von Gabo mit dessen gar nicht heimlicher Leidenschaft fürs Journalistische. Beide, Biograf Irnberger und Gabo als Literaturnobel, lernten das journalistische Handwerk in redaktioneller Knochenarbeit. Beide predigen daher gerne, dass man Journalismus nicht studieren kann, sondern nur erlernen, am besten als Reporter in einer Lokalredaktion unter Aufsicht. Beide beklagen, dass im heutigen Zeitungsbetrieb nicht mehr bunte Hunde gesucht werden, sondern graue Mäuse mit Magistertitel aus genormten Medienakademien nachrücken.

Gabo hat darob immer wieder die strenge Literatur beiseite geschoben und im lateinamerikanischen Rahmen journalistische Bildungsarbeit geleistet. Damit blieb sein Blick scharf für das Wirkliche, weswegen beim Schreiben nie geschludert wurde, auch nicht bei der Mutation des Wirklichen zum Magischen. Irnberger hämmert diese Botschaft nachhaltig in den Kopf des Lesers. Das zweite ständig wiederkehrende Thema in Irnbergers Buch ist das der starken Freundschaft mit Fidel Castro.

Kubas Revolutionsführer hat ursprünglich alle lateinamerikanischen Intellektuellen und Literaten begeistert. Angesichts wachsender Widersprüche auf Kuba fiel einer nach dem andern ab. Perus Dichterfürst Vargas Llosa führt seit der "Affäre Padilla" (jene augenzwinkernde "Selbstkritik" des kubanischen Poeten Heberto Padilla, als Bedingung für die Freilassung aus der Haft, erschienen im vollen Wortlaut in der "Presse" vom 29./30./31. Mai 1971) die intellektuelle Castro-Kritik an.

Da Gabo sich solcher Denunziation immer enthielt, bekam er von Vargas Llosa die Beleidigung, "Castros Höfling" zu sein, an den Kopf geworfen. Zuletzt schloss sich auch Susan Sontag der Castro-Fronde an, indem sie im April 2003 auf der Buchmesse von Bogotá die Frage ventilierte, warum Gabo sogar angesichts der jüngsten Verhaftungswelle auf Kuba (was zur Eiszeit mit der EU führte) dem weltweiten Protest fernblieb. (Übrigens veröffentlichte ein Autorenpaar in Madrid, Angel Esteban und Stéphanie Panichelli, ein eigenes Buch zu dieser Frage, betitelt "Gabo y Fidel".)

Harald Irnberger geht mit Gabos Freundschaft zu Fidel Castro verantwortungsvoll und sorgfältig um. Er sympathisiert mit Gabos Position (ohne deswegen zu verschweigen, dass dem kolumbianischen Autor in der Tat in Havanna, weit im Westen, wo das glitzernde Geschäftsviertel der neureichen Jungmanager der Revolution aufblüht, eine Staatsvilla zur Verfügung steht). Irnberger macht verständlich, warum die zwei, Gabo und Fidel, einander mögen, ja eine geradezu brüderliche Freundschaft unterhalten.

Auf alle Fälle aus Leidenschaft zur Literatur. Wenn die beiden - heute alten - Männer einander treffen, reden sie stunden- oder tagelang über Bücher. "Fidel Castro ist ein leidenschaftlicher Leser, Liebhaber und Kenner der guten Literatur aller Zeiten!" So das Urteil von Gabo. Und das Literarische führt unweigerlich zur Politik. Beide leiden an der imperialen Haltung der Vereinigten Staaten: Anstatt die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass in Lateinamerika Elend versiegt und ernsthafte Veränderungen stattfinden, bekämpft Washington Dämonen. Bis 1990 den "Kommunismus", seither die "Droge". Somit erhielt die kubanische Revolution nie den ihr gebührenden Freiraum.

Trotzdem konnte die Unterentwicklung beseitigt werden. Deswegen, so zumindest Irnbergers Deutung, kann es zwischen Gabo und Fidel wohl Differenzen im Kleinen, nie aber Widerspruch in der Hauptsache geben, nämlich Existenz und Überleben der kubanischen Revolution. Deswegen auch kein Einspruch Gabos bei fehlenden - oder verletzten - Formalismen bürgerlicher Demokratie (deren individuellen Tragödien, zum Beispiel im Fall verhafteter Dissidenten auf Kuba, Gabo diskret immer wieder nachgeht). Somit haben wir es mit einer nie unkritischen Solidarität zu tun, die aber vor der äußersten Belastung, der öffentlichen Castro-Denunziation, Halt macht.

Wer aber will deswegen Steine auf Gabo werfen? Vargas Llosa tut es schon seit langem; europäische Intellektuelle - Václav Havel etwa - folgten; Susan Sontag stieß 2003 dazu. Dass dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein mag, verdanken wir Harald Irnbergers enragierter Argumentation. [*]


Harald Irnberger: Gabriel García Márquez. Die Magie der Wirklichkeit. Biografie. 390 S., geb., € 25,60 (Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf)




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