Santiago de Cuba

06.12.2011 13:55
#1 Santiago de Cuba
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Forums-Senator/in

Nach sieben Monaten wieder einmal in Santiago de Cuba. Die Stadt ist bunter geworden. Einige Fassaden sind frisch getüncht. Und überall sind handgeschriebene Werbeplakate zu lesen, die auf Brötchen, Pizzas, aber auch die Reparaturannahme von elektrischen Geräten hinweisen. In fast jedem Hauseingang wird irgendetwas verkauft. Und mitunter nicht unbedingt das, was offiziell angepriesen wird. Gleich am ersten Morgen gibt es Probleme. Ich will Geld umtauschen, aber überall stehen riesige Schlangen. Es ist Zahltag. Die Kubaner holen ihre Pensionen ab oder zahlen ihren Arbeitslohn ein. Die Papiertüten erinnern mich an meinen Wehrdienst. Da zahlte der Spieß auch immer das Geld in solche Tüten aus. Klappere die Banken am Boulevard und am Cespedes ab, überall das gleiche Bild. Dazu kommt, dass man die Länge der Schlange nicht mehr abschätzen kann. Nichts mehr mit „ultimo“? Man bekommt jetzt von einer Bankangestellten eine Nummer in die Hand gedrückt. Die werden dann per Computer auf einem Bildschirm aufgerufen. Verstehe jetzt, warum am Schalter kaum Leute stehen, aber viele anscheinend sinnlos herumlungern. Ich lasse mir eine Nummer geben, erkundige mich nach der aktuellen und gehen spazieren. Eine Stunde später erscheine ich wieder. Nach einer halben Stunde Warterei erscheint auf dem Computer, wie viele Clienten zur Einzahlung von Moneta Nacional anstehen und wie viel für den Umtausch von Devisen usw. Da alles quer durcheinander geht, nutzt mir das wenig. Wenigstens lerne ich, dass es auch anders geht. Ein dicker, mit Goldkettchen behängter Schwarzer erscheint mit seiner gut 20 Jahre älteren ausländischen Begleitung. Er zitiert sich einen Bankangestellten heran und drückt dem einen grünen 100-Euro-Schein in die Hand. Der Mann verschwindet. Mir völlig klar, was jetzt passiert. Tatsächlich geht das Tauschgeschäft dann in der Seitengasse neben der Bank vonstatten. Ich kann es durch das Fenster beobachten und drücke ein paar mal auf den Auslöser der Kamera. Als der Bankmann wieder erscheint, frage ich ihn, ob es hier Sonderrechte gäbe. Er tut, als wüsste er nicht, was ich meine. Ich zoome ihm auf dem Display die Geldübergabe heran. Der Typ wird bleich und meint, dass wäre ein Freund gewesen und er habe schon längst Feierabend. Tatsächlich hat die Bank inzwischen geschlossen und ich gehöre zu den restlichen Leuten, die noch ihr Geld erhalten.
Zehn Minuten später entdecke ich auf der Enramda eine Cadeca und zwar genau gegenüber dem Brötchenstand, den ich immer besuche, weil der Eigentümer einen Toaster hat und diesmal gibt es sogar Brötchen mit Leber für fünf MN. Die neue Umtauschstelle ist wohl speziell für Touristen gemacht. Neu ist auch, dass man Euro nicht nur in Cuc, sondern gleich weiter in MN tauschen kann. Letzteres kann man neuerdings auch beim Brötchenverkäufer. Wieder etwas gelernt. Man soll sich nicht nur auf den eingefahrenen Gleisen bewegen. Kuba bedeutet vor allem immer wieder Veränderungen in den Details. Vor dem „California“ steht eine Hebebühne. Ein Mann montiert Schrauben ab, die Buchstaben der alten Werbung sind auf der einen Seite bereits verschwunden. Wird hier restauriert oder entsteht etwas Neues?
Die Kathedrale an der Südseite des Parque Céspedes ist im Mittelteil eingerüstet. Der Altarraum wurde extra nach vorn versetzt. Vorbereitungen für den Papstbesuch? Von dem schwärmen alle Kubaner. Und natürlich vom im September anstehenden Jubiläum der Barmherzigen Jungfrau von El Cobre. Wollte eigentlich dorthin fahren, aber Santiagos deutscher Taxifahrer hat sein Auto in Havanna stehen, was er beim Mailkontakt verschwiegen hat. Werde also die nächsten zwei Wochen mit Kubanern unterwegs sein, die alle erst einmal über die gestiegenen Benzinkosten jammern, bevor sie auf den Preis eingehen oder auch nicht. Als ob ich was dafür könnte, dass ihre Amischlitten keine Dieselmaschine haben. Aber es gibt genug Ladas und Moskwitschs und für den Notfall auch Motorradtaxis. Wobei ich hier die MZ am liebsten selbst zwischen die Beine nehmen würde, zu unsicher hocken viele Santiagueros auf ihren Maschinen.
Ausflug zum Zoo. Die Anlage muss einmal sehr schön gewesen sein. Ich vermute mal, dass sie noch aus vorrevolutionären Zeiten stammt, kann mich natürlich auf irren. Sollte sie in den 50er Jahren entstanden sein, war sie für diese Zeit sehr modern. Große Freigehege zu denen geschwungene Wege führen, teilweise einem Wasserlauf folgend. Die Attraktion des Zoos sind die Löwen. Zwei männliche Tiere liegen dösend unter einem großen Baum, die weiblichen befinden sich noch in ihren Käfigen. Nebenan gibt es Braunbären und noch ein Stück weiter ein Nashorn. Die Kinder interessieren sich am meisten für die Affen, die traurig in ihren Käfigen mit Betonboden hocken, und für das Ponyreiten. Aber auch Krokodile Riesenschlangen und Zebras werden bestaunt. Kurz vor dem Ausgang ein Eisstand, der einen gänzenden Umsatz macht.

Laufe vom Zoo zum Parque Ferreiro und weiter über die für den Verkehr gesperrte Av. Victoriano Garzón zum Plaza de Marte. Auf der breiten Straße werden Stände aufgebaut. Heute wird wieder die Nacht der Santiagueros mit viel Bier und Rum gefeiert. Jetzt zeigt die Wirtschaft Ostkubas, was sie alles im Angebot hat. Zahlreiche Unternehmen aus II. Frenze bieten Konserven und verschiedene Marmeladen an. Ein paar clevere Händler investieren und kaufen gleich das gesamte Angebot auf. Wahrscheinlich wird es später mit Aufschlag weiter verkauft. Überhaupt scheint der Beruf des Weiterverkäufers der am meisten verbreitete zu sein. Am Hafen finde ich in einem „Baumarkt“ die schönsten Fliesen, allerdings ist die komplette Lieferung bereits verkauft. Der Käufer will sie mit einem Lastwagen nach La Maya bringen und dort einzeln verhökern, wäre aber bereit, mir alles zu verkaufen. Ich erkundige mich bei Nachbarn, nach dem Fabrikpreis. Danach weiß ich, dass es besser ist, den Chef des Ladens zu schmieren. Auch in den anderen Geschäften mit Baumaterial herrscht Leere, dafür stehen dubiose Gestalten herum, die sich nach den Wünschen der Kunden erkundigen und einen dann in Casas führen, wo es alles gibt. Im Hinterraum eines Tropfpizzastandes ist beispielsweise Eimerweise Wandfarbe erhältlich und billiger als im Geschäft. Geklaut oder verdünnt, ist die Frage. Später stellt sich heraus, dass zumindest letzteres nicht zutrifft.


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06.12.2011 18:05
avatar  jan
#2 RE: Santiago de Cuba
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jan
Rey/Reina del Foro

Zitat

Neu ist auch, dass man Euro nicht nur in Cuc, sondern gleich weiter in MN tauschen kann. Wieder etwas gelernt.



Ja, wir auch
Das ist nun gaanz neu in einer CADECA
.

06.12.2011 19:00
#3 RE: Santiago de Cuba
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Forums-Senator/in

Hallo Jan, muss ich mir Sorgen machen? Du hast Dir diesmal ganz schön Zeit für eine Reaktion gelassen. Seit wann bist Du "wir"?


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06.12.2011 19:22
#4 RE: Santiago de Cuba
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Rey/Reina del Foro

Guter Bericht! Danke!

Aber das mit den MN ist doch normal. Die fragen eigentlich schon immer ob man MN möchte.

Ich ziehe meine CUC´s gleich wenn ich ankomme in Habana auf dem Flughafen. Kein Anstellen und ein besseren Kurs als am Wechselschalter.

Carnicero


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06.12.2011 19:28
#5 RE: Santiago de Cuba
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Rey/Reina del Foro

Interessanter und vor allem schöner Bericht, danke!

Hoffentlich kommt noch mehr - vielleicht was vom Nachtleben oder auch aus Siboney?


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06.12.2011 20:18
#6 RE: Santiago de Cuba
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Forums-Senator/in

Nein, Wechselstube im Flughafen war definitiv schlechter. Hatte da zum Glück 100 Euro getauscht, aber 25 waren ja gleich für den Bus wieder weg. Ja, Nachtleben folgt, Siboney auch, war ich aber nur tagsüber.


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06.12.2011 21:28
avatar  Pauli
#7 RE: Santiago de Cuba
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Rey/Reina del Foro

Ja guter Bericht !
Nur warum gehst du nicht zur Banco International??
Ich bin da schon Stammkunde, ok es gibt dort keine Peso National,
aber wer braucht das Spielgeld?? Wartezeit nicht mehr als fünf Minuten,
mit Visa Card keine Probleme . Ich brauche eigentlich nur Peso National
für das Bier Cacique , die Dose für 20 Peso . Ansonsten
brauch ich keine Pesos N.


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07.12.2011 11:55
#8 RE: Santiago de Cuba
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Forums-Senator/in

Lieber Pauli, Du brauchst bloß keine MN, weil Deine Frau diese Lokalitäten nicht besucht. Damit entgehen Dir aber Sachen wie La Taverna oder der Nautic Club. Außerdem kostet Rum nur 57 MN und die große Colaflasche 25 MN statt 1,50 Cuc usw. Ich habe bisher gute Erfahrungen damit gemacht, beide Währungen in der Tasche zu haben. Übrigens auch für Baumaterial. Elektrische Kabel habe ich nur in MN-Geschäften gesehen.


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07.12.2011 12:00
#9 RE: Santiago de Cuba
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Forums-Senator/in

Schaue mir das Stadtmodell von Santiago an. Ein Cuc kostet der Eintritt für Ausländer. Auch wenn das Modell längst nicht fertig ist und ganze Stadtteile fehlen, lohnt sich der Besuch. Ich bekomme eine Führerin, die alles erläutert: der Bahnhof, die Brauerei, die Silos, die Bonbonfabrik von San Pedrito, das Neubauviertel. Allerdings reicht es nur bis Districto, die Micros fehlen alle. Auch der Friedhof. Da werde doch jetzt ein tolles Mausoleum gebaut, locke ich die Führerin. Aber die stellt sich dumm. Das sei doch längst fertig und José Marti gewidmet. Nein, schüttle ich den Kopf, ich meine das daneben, das für Fidel. Die Frau grient plötzlich. Dazu könne sie nichts sagen. Bezeichnend ist auch, dass auf der Plaza de Marte ausgerechnet die Freiheitssäule mit der Jakobinermütze fehlt, um so sorgfältiger ist das Denkmal auf dem Platz der Revolution modelliert.

Mich interessiert besonders das Plattenbauviertel, durch das ich schon mehrfach spaziert. Aus der Vogelperspektive lassen sich jetzt viele Wege nachvollziehen. Im Gegensatz zu ähnlichen Satellitenstädten in der DDR sind hier nicht nur die Wohngebäude umgesetzt worden, sondern auch die sozialen Einrichtungen. Es gibt Ärztehäuser, wo sich im ersten Stock die Praxis befindet und die Familien im zweiten Stock wohnt. Auch sind Geschäfte, Restaurants usw. vorhanden. Ein Großteil der Gebäude ist in den vergangenen Jahren saniert worden. Die Flachdächer erhielten neue Abdichtungen, die Fassaden neue Anstriche. Teilweise wurden die fensterlosen Hausseiten auch von Künstlern mit großen Bildern verziert.

Im Eintrittspreis inklusive ist der Blick auf den Hafen und das davor liegende Straßengewirr. Auch gibt es eine Cafeteria. Interessant auch die historischen Stadtpläne an der Wand. Sie künden vom raschen Wachstum der Stadt und vorausblickenden Stadtplanungen. Auch die heutigen Stadtplaner haben ihre „Alternativa de futuro“ formuliert. Einige Ideen zur Gestaltung der historischen Altstadt sind bereits umgesetzt. So ist anstelle des Handwerkermarktes (der ist jetzt auf einer Brache auf der Calle Félix Pena nahe des Parque Céspedes ansässig) am Rande des Plaza de Dolores schon vor etlichen Jahren eines Kulturplatz entstanden. Wo sich einst wüste Buden drängelten und flüsternd gefeilscht wurde, treffen sich jetzt Abends ältere Herrschaften zum Seniorentanz. War aus dem Forum schon jemand in der unterirdischen Bar? Ich habe es nie geschafft, dort ein Bier zu trinken. Nur einmal tagsüber war ich kurz drin, da fand gerade eine Modenschau statt.

Zu den umgesetzten Plänen gehört auch die sorgfältig gestaltete Calle Tamayo Fleites und viele der sie säumenden Gebäude. Vom Friseursalon an der Ecke bis zur Iglesia de Nuestra Senora del Carmen ist ein kleiner, schmucker Fußgängerboulevard entstanden, der sogar nachts beleuchtet ist. Hier bieten Kunsthandwerker Schmuck, Holzskulpturen und Pappautos an. Damit ist eine echte Alternative zu den Ständen auf der engen Calle Heredia entstanden, bei der Passanten immer dem Autoverkehr ausgesetzt sind. Santiago-Kenner werden allerdings weiterhin auf der Heredia feilschen, weil insbesondere die Skulpturenangebote dort die besseren sind.

Santiagos innerstädtische Hauptgeschäftsstraße, die Calle José A. Saco bzw. Enramada wird ebenfalls stückweise saniert. Ab neun Uhr morgens schließt sich das eiserne Tor in Höhe des Plaza de Marte. Bis 21 Uhr abends ist die Enramada für den Autoverkehr gesperrt. Die Beschäftigten der staatlichen Restaurants räumen entlang der Straße Tische auf die Straße und decken diese ein. Aktiv geworben, etwa mit Speisekarten in der Hand, wird aber noch nicht. Derartige Straßencafés sind aber vielen Santiageros noch zu ungewohnt. So stellen sie sich lieber in die Schlange wie beispielsweise vor dem „Ristorante Fontana di Trevi“. Im ruinösen ehemaligen Hotel „Imperial“ werden im Erdgeschoss Rum und Erfrischungsgetränke verkauft. Mitunter gibt es Sonderangebote in Form einer 1,5-Liter-Flasche Cola und einer Flasche Rum für 3,50 konvertible Pesos. Ein lohnender Kauf für den Abend im Biergarten „Las Enramadas“, zumindest für diejenigen, die bis dahin noch einen Plastebeutel voller Eiswürfel organisieren können. Lohnend auch ein Abstecher, in den Früchtemarkt neben dem Hotel. Hier gibt es dienstags bis sonnabends, von acht bis zwölf Uhr und16 bis 19 Uhr, sowie sonntags, von acht bis zwölf Uhr, leckere frisch gepresste Fruchtsäfte für zwei nationale Pesos. Die Cafeterias Marilyn und 34 haben neben den Zigarren und den filterlosen Zigaretten der Marke „Popular“ auch Kaffee im Angebot. Allerdings ist die Konkurrenz hart. Längst sind flott gekleidete Frauen mit Thermoskannen auf der Straße unterwegs, die ebenfalls süßen Kaffee in kleinen Tassen oder Papptüten ausschenken. Devisen muss man dafür im neuen „Café Ven“ bezahlen.

Die Schaufenster des Kaufhauses „El Encanto“, eines 1934 im nüchternen amerikanischen Art-Deco-Stil errichteten Gebäude, werben für Adidas-Produkte. Die klimatisierte Abteilung im ersten Stock ist oft so überfüllt, dass man anstehen muss. Ein Stück weiter lockt das „La California“. Auch der Besuch in mehreren Lokalen auf der Enramada lohnt sich. Da wirbt das zu einer kubanischen Schnellrestaurantkette gehörende „El rapido“ mit seinem 24-Stunden-Service, da ist das Restaurant „La Dalia“, in dem es Schmackhaftes für nationale Pesos gibt. Frisch getüncht ist die Fassade de „Casa de la Cultura Miguel Matamoros“. Das Gebäude selbst ist verschlossen. Neugierige können sich trotzdem im Inneren umsehen. Sie müssen nur die benachbarte Galerie besichtigen. Von dieser gelangt man in den Innenhof des Gebäudes, der einen prächtigen Brunnen, Wappen, Kronleuchter und schmiedeeiserne Laternen aufweist. Ob es den roten Salon im ersten Stock noch gibt?

In der Casa eine Überraschung. Eine junge, attraktive Blondine erwartet mich. Leider trägt sie eine hellblaue Uniformbluse und Schulterstücke. Eine Inspektorin. In den Händen hält sie das Übernachtungsbuch. Sie will meinen Pass sehen, dann noch das Visum. Ich hole die Dokumente. Ist ja alles legal. Irgendwie hatte ich auch damit gerechnet, nach der ungewöhnlich konkreten Befragung bei der Passkontrolle in Holguin. Aber vielleicht konstruiere ich auch nur etwas aus zwei Zufällen zusammen. Die Frau ist ausgesprochen höflich und entschuldigt sich dann sogar noch, mich belästigt zu haben. Aber kann eine so schöne Frau einen belästigen? Ich verkneife mir die Frage und auch, sie auf ein Bier einzuladen. Schnappe mir stattdessen die FAZ und gehe in den Biergarten am Boulevard. Der schließt genau in dem Moment, wo ich eintreffe. Der Kammerjäger nebelt alles ein. Dafür sitzen jetzt die Insassen alle auf den Bänken am Boulevard. Eine Chica, in äußerst gewagtem Outfit, streckt die Zunge raus. Die ist gepierct und die Sonnenstrahlen spiegeln sich im Metall. Irre.

Ich gehe mit dem Geldwechsler in die Bar neben dem Restaurant La Taverna. Wir trinken Mojito für MN. Nach kurzem Casa-Aufenthalt und Abendessen zweiter Versuch im Biergarten „Las Enramadas“. Die kleine deutsche Kolonie ist bereits versammelt. Die üblichen kubanischen Stammgäste auch, was den Vorteil hat, dass man in Ruhe gelassen wird. Erst später, als ich nur noch mit einem anderen Deutschen zusammen hocke und diskutiere, werden die Chicas aktiv. Zwei bauen sich vor uns auf, wollen sich dazu setzen. Wir schütteln die Köpfe, sagen ihnen, dass wir uns ungestört unterhalten wollen. Als sie auch keine Getränk bekommen, fragen sie uns, ob wir schwul seien. Ja, ja, nicken wir, und haben kurze Zeit unsere Ruhe. Dann sind zwei die beiden Chicas wieder da. Sie hätten sich inzwischen erkundigt, wir hätten sie belogen, wir seien nicht schwul. Nun müssten wir zwei Lügner ihnen aber etwas ausgeben. Die beiden haben trotzdem kein Glück.

Interessant ist, was an diesem Abend auf den Toiletten läuft. Nicht nur, dass hier Chicas mit ihren Touristen verschwinden, auch Typen, darunter zwei dicke Neger. Und in der dunklen Ecke davor wird geknutscht, weil diese für die Polizeikameras nicht einsehbar ist. Auch wird der Biergarten regelmäßig bestreift. So verlässt eine ganze Gruppe Kubaner plötzlich ihre Tische, als die Polizei auf der anderen Seite Ausweise zu kontrollieren beginnt. Besonders lästig ist später eine ältere Mulatta, nach eigenen Angaben 33 Jahre alt, zwei Kinder, die sich, als ich allein bin, ungefragt an meinen Tisch setzt. Nach dem ich ihr Beischlafangebot abgelehnt habe, erklärt sie mir den Unterschied zwischen einer „Puta“ und einer Prostituieren. Die Definition ist amüsant. Frage sie, welche Rolle dabei der Typ spielt, mit dem sie hier zusammen erschienen ist und der sie die ganze Zeit im Auge hat. Welcher Typ? Ach der, das sei ein Freund. Später flüstert mir ein Kubaner zu, dass die Chica Zivilpolizei sei. Das kann ich mir durchaus vorstellen. Aber welchen Sinn hat das Ganze? Jedenfalls werde ich sie nahezu jeden Abend im Biergarten sehen, wie sie die unterschiedlichsten Ausländer anbaggert, aber nirgendwo landet. Zumindest soweit ich es mitbekomme. Gleichzeitig tut sie so, als würde sie alle kennen und registriert, welche Chica bei welchem Touri am Tisch sitzt. Mitternacht schließt der Biergarten, der damit wirbt, 24 Stunden auf zu haben. Auf dem Boulevard geht das Fest weiter. Ein paar Straßenmusiker spielen. Rumflaschen kreisen und es wird getanzt.

Als ich gegen zwei Uhr vor der Casa erscheine, ist die fest verrammelt. Der Haustürschlüssel nützt gegen die eisernen Riegel wenig. Ich trommle die halbe Nachbarschaft wach, bis der Hausboy erscheint und mich reinlässt.


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07.12.2011 17:36
#10 RE: Santiago de Cuba
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spitzen Mitglied

Amüsant zu lesen.Weiter so.


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07.12.2011 19:57
avatar  Pauli
#11 RE: Santiago de Cuba
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Rey/Reina del Foro

Zitat von Jose Ramon
Lieber Pauli, Du brauchst bloß keine MN, weil Deine Frau diese Lokalitäten nicht besucht. Damit entgehen Dir aber Sachen wie La Taverna oder der Nautic Club.




Das ist nicht ganz richtig,meine Frau mag die meisten MN Lokale
nicht, aber natürlich gehen wir ab und an auch dort hin,wie zb. in
dein Stammlokal el bodegon . Nur hab ich oft die Erfahrung
gemacht das wenn man mit MN bezahlt ,man nicht unbedingt billiger weg
kommt. Bei Baumaterial usw. ist es klar aber sonst ? auch ich hab
meistens beide Währungen dabei,nur würde ich schätzen das ich meine
Ausgaben zu 90% in CUC begleiche. So kann es auch manchmal eine böse
Überraschung geben wenn man in so einem "billigen" MN lokal nicht richtig
die Preise liest. So habe ich es bei jemandem anderem erlebt,der musste
dann für Camarones 375 PN bezahlen ( 15 CUC). Allerdings glaube
ich, das wurde von dem Lokal extra so gemacht um die Touris etwas zu erleichtern.
Also immer aufpassen mit den zwei Währungen.


Gruss Pauli


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08.12.2011 11:39
#12 RE: Santiago de Cuba
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Forums-Senator/in

Früh klopft es an der Zimmertür. Zu früh für mich. Aber der Hausboy entschuldigt sich für gestern Abend und kredenzt süßen Kaffee. Hocke mich in den Schaukelstuhl und genieße das Getränk. Dann auf die Enramada zum Brötchenverkäufer. Tatsächlich, es gibt erneut Leber. Laufe zur Iglesia de Santo Tomás. Da soll jene Kopie der Barmherzigen Jungfrau von El Cobre aufbewahrt werden, die nach einer durch das ganze Land führenden Prozession noch bis Ende des Jahres in Havanna zu sehen ist. Wollte sehen, ob da eine Kopie der Kopie ausgestellt ist oder der Altar leer ist. Aber die Kirche ist verschlossen. Auf dem Platz davor findet gerade Sportunterricht statt. Die Mädchen machen mit Stöcken irgendwelche gymnastische Übungen. Ein paar Jungen lernen Fechten. Andere boxen. Ein älterer Mann mimt mit und bekommt ein paar Geraden ab. Später zieht er seine braune Uniformjacke wieder über den verschwitzen Oberkörper und stopft sie in die Hose. Es ist einer der Wächter, die sonst darauf achten, dass niemand seine Füße auf eine Bank legt.

Laufe zum Cespedes. Da „überfallen“ die Bettler gerade eine Touristengruppe. Die werden nur dadurch gerettet, dass zwei weitere Busse ihren Inhalt ausspucken und die Bettler nun etwas nervös sind: Wo gibt es das meiste abzustauben. Das beste Geschäft macht die alte Erdnussverkäuferin, die wieder ihre schicke Sonnenbrille aufhat. Auf die Frage einer deutschen Touristin, was denn eine Tüte kostet, sagt sie wahrheitsgemäß: einen Peso. Die Touristin zögert etwas, gibt ihr dann aber einen Cuc. Die Verkäuferin drückt ihr eine, noch eine und schließlich vier Tüten in die Hand. Das reicht der Deutschen und sie geht stolz über ihren Handel zur Gruppe zurück: „Die verkauft Erdnüsse, dass ist doch besser als zu betteln.“

Auch Hollandes scheint es gut zu gehen. Der clevere Eduardo hat zusätzlich zur schon immer hervorragend funktionierenden Pension ein Restaurant eingerichtet. Hölzerne Tische stehen auf der zur Heredia ausgerichteten Terrasse. Die schwere Doppeltür zum Saal ist weit geöffnet und gibt den Blick auf einen weiteren Gastraum frei. Das Personal ist sorgfältig eingekleidet. Erfahre später, dass Eduardo zwei Team eingestellt hat, die abwechselnd bedienen. So hat er genau den Überblick, wie alles läuft. Die Speisekarte ist in Cuc und MN ausgeschrieben. Die Preise sind wesentlich höher (125 MN für ein Menue, 30 MN fürs Bier) als die in den staatlichen Restaurants, aber in dieser Lage kann er sich das leisten. Ich komme allerdings während des aktuellen Aufenthalts nicht dazu, hier zu essen. Eduardo scheint es auch vorziehen, außerhalb zu essen. Ich treffe ihn jedenfalls zweimal.

Schaue mir die Skulpturen auf der Heredia an. Aber die kleinen sind alle nicht schönen, nur ein paar ganz große könnten mich reizen, aber hier sind die Preise einfach zu hoch.

Packe meinen Kram. Will in die Villa San Juan. Der erste Taxifahrer am Boulevard verlangt vier Cuc. Ich glaube mich verhört zu haben. Aber er bleibt dabei. Der zweite transportiert mich dann für die Hälfte. Am Pool die nächste Überraschung: Es gibt nicht einen einzigen Sonnenschirm mehr und die Liegen sind alle besetzt beziehungsweise reserviert. Einige mich dann mit einem Italiener, dass ich eine seine beiden reservierten benutzt, bis sein Kumpel samt Chica eintrifft. Später erscheint der Kumpel tatsächlich – ich habe inzwischen eine eigene Liege ergattert – und zieht ein langes Gesicht. Chica ist ne Stunde überfällig. Nach der weiteren halben Stunde erscheint tatsächlich ne Mulatta, wird statt mit ner Ohrfeige mit Küsschen empfangen und Mojito. Es lebe der Liebeskasper. Eine dicke, mit Goldketten behängte Schwarze hat ihre Familie eingeladen. Mit einer Weißen komme ich ins Gespräch. Sie wohnt seit 14 Jahren in Tirol und ist gerade vor der kubanischen Großfamilie ins Hotel geflüchtet. Vertrinke meine acht Cuc Guthaben und fahre gegen 17 Uhr mit meinem Taxifahrer wieder ins Zentrum. Erneut in die Taverna zum Essen. Der kleine, dickliche Chef ist noch da, auch ein paar der älteren, netten Damen, aber sonst ist die Bedienung vollkommen ausgetauscht. Vor allem Männer bedienen, äußerst nett und zuvorkommend. Es gibt sogar Faßbier in Glaskrügen. Die Tische sind mit sauberen Tischdecken eingedeckt. Die Speisekarte verspricht Vielfalt. Allerdings hat man nur die Wahl zwischen Hühnchen und Schweinefleisch. Der Geldwechsler schwirrt vorbei und verspricht, in einer Stunde mit Rum, Cola und Speiseeis im Biergarten zu sein. Die Rechnung kommt. Ich überfliege sie und addiere. Komme auf ein um 20 MN geringeres Endergebnis. Die Bedienung marschiert wieder ab. Diskussion an der Kasse. Klar, ich habe recht.

Im Biergarten sitzt die deutsche Kolonie schon versammelt. Der Geldwechsler hat eine „Bild“ von 2008 dabei. Schließlich hatten wir am Vortag darüber gestritten, ob Männer ein Kind austragen können. Nun präsentiert uns ein Kubaner die Überschrift „Schwangerer Mann bekam ein Mädchen“. Wir streichen uns über unsere Bäuche. Vier Deutsche und eine Flasche Rum ziehen magisch an. Die üblichen Verdächtigen erscheinen und Chicas setzen sich in Positur. M. erscheint mit einer jungen, sehr schönen Frau in Schlepptau. Arbeitet der, trotz Knasterfahrung deswegen, wieder als Zuhälter? Maikel, nicht mit M. zu verwechseln, aber im gleichen Gewerbe tätig, entführt mich dann. Er habe Probleme mit einem Italiener, der zu schüchtern für die für ihn bestimmte Chica sei. Setze mich also an den Tisch. Der Italiener, ein bebrillter Bär, stellt sich tatsächlich selten dämlich an. Aber die Anwesenheit eines weiteren Ausländers beruhigt ihn. Maikel tut mir auch ein wenig leid, der hat die Frau jetzt schon den vierten Tag im Schlepp, ohne das einer anbeißt. Aus Höflichkeit fange ich mit der zweiten Chica ein Gespräch an. Und siehe da, die spricht fließend deutsch. Sie hat 15 Jahre in der Schweiz gelebt. Jetzt ist die Beziehung zu Ende und sie ist nach Kuba zurückgekehrt. Irgendwas scheint mit dem Aufenthaltstitel nicht hinzuhauen, denn der ist auch nach dieser Zeit noch befristet.

Als ich zu Stammtisch zurückkehre, ist M.s Chica an das Geburtstagskind vergeben. Die beiden sind miteinander beschäftig. Wir anderen bekommen im Gegenzug ein Bier spendiert. Später sorgt noch ein Polizeieinsatz für Abwechslung. Vor der Bank schlagen drei Polizisten einen Mann zusammen. Dann wird er in das Polizeiauto verfrachtet, wo schon ein weiterer sitzt. Die zeternde Freundin, die nicht einsteigen will, bekommt auch ein paar verpasst. Der ganze Biergarten hängt am Zaun und beobachtet das Geschehen. Ein Kubaner filmt die Szene mit dem Handy. Das hätte ich mir nur getraut, wenn ich schon mehr intus gehabt hätte. Für weitere Unterhaltung sorgt ein Neuzugang. Ein Deutscher hat gerade seine neue Bekanntschaft heimgeschickt. Wir hatten schon beobachtet, wie er angebaggert wird. Der Zuhälter sitzt einen Tisch weiter und hat alles im Blick. Als der Deutsche auf Toilette verschwindet, kommt der Zuhälter sogar an den Tisch und genehmigt sich einen großen Schluck aus dem Cocktailglas des anderen, um sich wieder zurückzuziehen.

Jetzt hockt der Deutsche stolz bei uns und erzählt,dass er sich mit der Chica für morgen verabredet und ihr noch fünf Cuc für die Heimfahrt zum Ferreiro gegeben habe. Schließlich kenne er sich mit den Preisen und auch allem Übrigen bestens aus, er sei schon das zweite Mal in Kuba. Wenn er helfen könne... Die Kolonie, darunter zwei Leute mit ständigem Wohnsitz, nickt andächtig. Jeder grient in sich rein. Es ist inzwischen ein Uhr. Der Biergarten schließt wieder.


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